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FM-Standpunkt

Mit einem Bein im Knast

Wenn ein junger Mann nach der Disco auf der Landstraße gegen einen Baum rast, dann ist das sehr, sehr traurig. Wenn ein Tsunami Häuser fortspült, dann ist das ein schreckliches Schicksal. Wenn in einem Bürgerkrieg Kinder sterben, dann ist das kaum zu ertragen. Wenn ein Ast von einem Baum stürzt und einen Passanten verletzt – dann ist die Hölle los.
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Tjards Wendebourg
Tjards Wendebourg
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Alle diese Fälle kommen vor – leider. Aber unsere Reaktionen darauf sind ganz unterschiedlich. Dem jungen Mann unterstellen wir Eigenverschulden. Kein Mensch würde deswegen alle Alleebäume roden lassen. Die Opfer in den Tsunamigebieten nehmen wir schicksalsergeben hin, wie alle Opfer von Naturkatastrophen. Gegenüber den anonymen Tätern in kriegerischen Auseinandersetzungen empfinden wir hilflose Wut. Nur dem, der für den Baum verantwortlich ist, dem können wir habhaft werden. Für ihn lässt sich ein Verhaltensdefizit und damit eine Schuld nachweisen.

Unser Leben ist ein einziges Risiko. Wir rasen mit 200 Stundenkilometern über die Autobahn. Wir üben Sportarten aus, die zum Teil mühelos als Stunteinlagen durchgehen. Wir saufen, wir rauchen und ziehen uns Medikamente rein, von denen keiner weiß, welche Folgen sie haben. Wir füttern uns mit Lebensmitteln, deren Inhaltsstoffe eigentlichen einen Beipackzettel erfordern. Aber, dass uns ein Ästchen auf den Kopf fällt, das, bitte schön, soll uns nicht passieren dürfen.

Natürlich wollen wir nicht, dass jemand durch einen herabfallenden Ast zu Schaden kommt. Wir wollen auch keine Opfer von Naturkatastrophen und Kriegen. Wir wollen keine tödlichen Unfälle. Trotzdem werden wir in Kauf nehmen müssen, dass Menschen nicht nur eines natürlichen Todes sterben; egal, was wir tun, um die Welt sicherer zu machen.

Gute Pflegequalität ist von jedem, der pflegt, zu erwarten. Aber es kann nicht sein, dass die Angst, dass sich trotz aller Mühe ein Ast vom Stamm löst, dazu führt, dass am Ende alle Äste schon vorher abgesägt werden. Oder dass die Angst vor dem Knast Verantwortliche gar dazu bewegt, die Bäume in seiner Obhut gleich ganz zu entfernen.

Wir alle tragen ein Lebensrisiko und haben eine Selbstverantwortung. Und wir müssen damit leben, dass wir nicht für jedes eintretende Ereignis einen Verantwortlichen finden oder eine Versicherung haben. Nach fast 70 Jahren in Frieden haben wir einfach manchmal vergessen, dass auch unser Leben hier in Mitteleuropa tödliche Gefahren für uns birgt.

Tjards Wendebourg, in FLÄCHENMANAGER 4/2013

 

(c) FM online, 21.1.14

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