Ausschreibungen in der Baumpflege – ein (un-)kalkulierbares Risiko?
„Bei Vergabeverfahren nimmt die Baumpflege eine exotische Stellung ein und ist, in wie so vielen anderen Bereichen auch, ausgesprochen uneinheitlich“, sagt Tobias Siegert, Geschäftsführer der Nürnberger Baumpflege GmbH. Er sieht die die Vergabepraxis von Baumpflegedienstleistungen als hochproblematisch an. In einer dreiteiligen Serie erläutert er, an welchen Stellen es kritisch ist und liefert Argumente für Diskussionen.
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"ZTV konforme Ausschreibung“ ist eine Umschreibung oder besser gesagt Zuschreibung, welche zum Standardvokabular einer jeden Baumpflege-Fachbehörde gehört. Die daraus folgenden Implikationen bleiben weitestgehend nebulös, dem Verkündiger als auch dem Empfänger solch einer Aussage.
In der Realität zeigt sich dann jedoch meist, dass es mit der hochtrabend daherkommenden Aussage nicht so weit her ist. Meist ist damit gemeint, dass man Äste auf Zugast/Versorgungsast schneidet, Totholz über 3 cm entfernt oder man zu erwarten hat, dass auf das gelbe Heftchen mit dem Zeigfinger klopfend aus dem Gebüsch gesprungen wird, sollte der Baumpfleger ungeachtet der Unterarmstärke des Austriebs zur Startbewegung an der Motorsäge ansetzen. Außerdem ist eine affektierte E-Mail, mit zunehmender Beliebtheit garniert mit roten Ausrufezeichen, zu erwarten, sollte der Rest eines abgeschnittenen Asts „Überlänge“ aufweisen und sich zweckentfremdet zum Aufhängen eines Kleiderbügels eignen.
Mehrheitlich impliziert solch eine Aussage nicht, dass bei der zur Ausschreibung gehörenden Leistungsbeschreibung und bei der Erstellung des Leistungsverzeichnisses ein allgemeiner, etablierter Standard eingehalten wurde, der die zu vergebende Leistung hinreichend genau beschreibt und somit Auftraggeber und potenziellen Auftragnehmer ohne besondere Kenntnis, nur durch das Lesen der Vergabeunterlagen, die gleiche Vorstellung der dann ggf. geschuldeten Leistung haben. Freilich ist es auch keine Seltenheit, dass der Ausschreibende selbst noch nicht weiß, was er denn eigentlich möchte. Deshalb ist die Frage, ob diese „goldene“ Vergaberegel durch eiserne ZTV-Konformität überhaupt erreicht werden kann.
Die „goldene“ Vergaberegel findet sich in § 7 Abs. 1 VOB/A verschriftlicht wieder:
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Die Leistung ist eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Unternehmen die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können. (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A)
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Um eine einwandfreie Preisermittlung zu ermöglichen, sind alle sie beeinflussenden Umstände festzustellen und in den Vergabeunterlagen anzugeben. (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A)
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Dem Auftragnehmer darf kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann. (§ 7 Abs. 1 Nr.3 VOB/A)
Vereinfacht formuliert bedeutet § 7 Abs. 1 VOB/A übertragen auf die Baumpflege, dass die Leistung so detailliert beschrieben werden muss, sodass …
- … alle Kalkulatoren die weitestgehend gleiche Annahme der Leistung/des Arbeitsaufwands haben („[…] eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben […]“)
- … es zur Kalkulation nicht notwendig ist, die Baustelle vorab in Augenschein zu nehmen und vom Schreibtisch aus anhand der Vergabeunterlagen kalkuliert werden kann („[…] ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können. […]“)
Diese beiden Vorgaben führen, auch wenn man es nicht sofort erkennen mag, in der Baumpflegepraxis zu Widersprüchen.
Beispiel macht Situation anschaulich
Plant zum Beispiel eine Kommune die Ausschreibung von 1.000 Baumpflegemaßnahmen an 1.000 Bäumen, kann das Leistungsverzeichnis zwischen einer und tausend Leistungspositionen bestehen. Folgende drei Hauptgruppen gilt es zu unterscheiden:
- Für jeden Baum wird im Leistungsverzeichnis eine Leistungsposition mit den durchzuführenden Maßnahmen unter Angabe von verschiedenen Baumdaten (zum Beispiel Höhe, Breite, Art, Baumnummer, Standort, Zugang etc.) vorgesehen.
- Klassifizierung der Bäume:
- in meist zwei Dimensionen (Maßnahme und Höhe beziehungsweise Maßnahme und Stammdurchmesser > circa 100 LV-Positionen)
Anmerkung: Ob Baumpflegemaßnahmen durch Angabe der Kombination Maßnahme und Stammdurchmesser kalkulierbar sind, ist auch diskutabel. Nach der Auffassung des Verfassers lässt sich aus dem Stammdurchmesser allenfalls die Schwertlänge ableiten. Der bestimmende Faktor für Zeit und Gerät ist die Baumhöhe bzw. das Kronenvolumen, wobei das Volumen in deutlicher engerer Beziehung mit der Höhe denn mit dem Stammdurchmesser steht.
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Manchmal auch in drei Dimensionen (zusätzlich Breite > 2–3 Stufen > 200–300 LV Position)
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Sehr selten auch in vier Dimensionen (zusätzlich Zugangstechnik > nochmal Verdopplung der LV-Positionen)
- in meist zwei Dimensionen (Maßnahme und Höhe beziehungsweise Maßnahme und Stammdurchmesser > circa 100 LV-Positionen)
- Es wird eine Maßnahmenliste mitgeliefert, vorzugsweise gescannt und nicht als .xlsx- oder .csv-Datei, und es ist nur eine LV-Position mit der Menge 1.000 angegeben, welche dann scheinbar mischkalkuliert werden soll.
Mit Vorgehen gemäß a) ist die Motivationslage klar. Der Ausschreibende möchte durch eine Leistungsposition pro Baum der Anforderung an eine erschöpfende Leistungsbeschreibung Genüge tun, gerne auch noch ergänzt mit der Vertragsbedingung, dass die Baustelle bzw. jeder einzelne Baum vorab in Augenschein genommen werden muss und keine Ansprüche aus Abweichungen zwischen Leistungsbeschreibung und Realität ableitbar sind. Hier wird aber schnell klar, dass dies wohl eindeutig umfangreiche Vorarbeiten gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A sind. Solche Regelungen sind nicht in Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung zu § 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A zu bringen [1]. Zudem sei ergänzt, dass so ein Leistungsverzeichnis bei ungenauer (Höhen-)messung oder entsprechendem Abstand zwischen Baumkontrolle bzw. letzter Messung (oft Ersterfassung vor 15 Jahren) und Ausführung zu 1.000 Nachtragsposition führen kann, da die im Leistungsverzeichnis angegeben Baumdimensionen nicht mit der Realität in Einklang stehen.
Auch ist es schwer zu erklären, warum und wenn ja wie hoch ein kalkulatorischer Unterschied zwischen einer Stil- und einer Roteiche bei sonst gleichen Attributen bestehen soll. Hier wird der Kalkulator wohl oder übel selbst eine Kategorisierung gemäß b) vornehmen, was zu vielen Positionen führt, welche den gleichen Einheitspreis auf den Eurocent genau aufweisen. Die Sinnhaftigkeit von solchen Leistungsverzeichnissen ist daher in aller Regel überschaubar, außer es sind wirklich außergewöhnliche Ansprüche in der Ausführung gegeben (zum Beispiel Kranfällung).
Rahmenverträge werden in erster Linie gem. b) ausgeschrieben und können, sofern die Verkehrssicherungsarbeiten den Ausführungen zu Teil 1 folgend ausgeschrieben werden, und unter gewissen Voraussetzungen, wie nachfolgend ausgeführt, dem § 7 Abs. 1 VOB/A gerecht werdend ausgeschrieben werden. Bei Rahmenverträgen ist ein Vorgehen nach a) ausgeschlossen, da zum Zeitpunkt der Kalkulation die Maßnahmen bzw. Bäume noch gar nicht bekannt sind.
Das Vorgehen nach c) ist relativ selten, doch begegnet es einem gelegentlich. Die Vereinbarkeit zur VOB ist in fast jeder Hinsicht nicht gegeben.
Hinweis: Die vorgenannten Optionen a)–c) und (scheinbar) anekdotisch gefärbten Ausführungen entspringen nicht der Phantasie des Verfassers, sondern wurden so ausgeschrieben bzw. führten zu einem entsprechenden Nachtrag(-sangebot) eines erheblichen Umfangs.
Was aber bedeutet eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung, welche eine einwandfreie Preisermittlung ermöglicht?
Grundlegend wird dies durch zwei wesentliche Vorgänge erreicht: einmal durch die Feststellung aller die Preisermittlung beeinflussender Umstände und zum anderen auch durch deren Angabe in den Vergabeunterlagen [2]. Immer dann, wenn der jeweilige Einzelumstand geeignet ist, auf den Angebotspreis einzuwirken, ist die Ermittlung und Aufnahme solcher Umstände in die Vergabeunterlagen zwingend geboten [3].
Das heißt also, der Kalkulator muss die Preisbestandteile (Löhne, Stoffe, Geräte, Sonstiges - gem. EFB 223 VHB-Bund) einer Einzelleistung (zum Beispiel Totholzbeseitigung bis 20 m Baumhöhe) ausreichend genau bestimmen können, wofür eine hinreichend genaue Leistungsbeschreibung notwendig ist. Bei der hinsichtlich Anzahl wohl am oftesten ausgeschriebenen Baumpflegeleistung „Totholzbeseitigung“ ist es daher notwendig zu wissen, mit welcher Zugangstechnik der Baum erreichbar ist (Arbeitsbühne oder Seilklettertechnik). Auf Grundlage der Baumhöhe gegebenenfalls unter Ergänzung der Breite, kann dann bei Anwendung der Standardzugangstechnik Arbeitsbühne das geeignete Gerät ausgewählt werden.
Vereinfacht ergibt sich dann bei einem exemplarischen Baumpflegebetrieb - nach Zuschlägen - ein Kolonnenpreis pro Minute zum Beispiel für das Team „Seilklettertechnik“, das Team „Arbeitsbühne klein“ und das Team „Arbeitsbühne groß“. Dies jeweils multipliziert mit dem angenommenen Zeitansatz ergibt den Einheitspreis der Position. Preisunterschiede ergeben sich dann theoretisch nur durch zum Beispiel geringere Gerätekosten bedingt durch die Betriebsstruktur (Miete/Kauf/Leasing etc.) und die Fachkenntnis der ausführenden Mitarbeiter und dem daraus resultierenden Zeitbedarf sowie durch die Höhe der Zuschläge wie Gewinn, Baustellengemeinkosten und Allgemeine Geschäftskosten.
Die große Unbekannte der Kalkulationsgleichung ist also der angenommene Zeitansatz pro Kolonne. Dessen Bestimmung bedingt, dass in dem Ausdruck „Totholzbeseitigung“ genügend Information steckt, sodass jeder fachkundige Bieter seinen betriebsspezifischen Zeitansatz innerhalb des zumutbaren, über die Zuschläge abdeckbaren Risikobereichs, festlegen kann.
Hier zeigt sich aber in der Praxis, dass die Leistung „Totholzbeseitigung bis 20 m Baumhöhe gem. ZTV-Baumpflege“ die Entfernung eines einzelnen 50 cm langen „Ästchens“ mit einem Durchmesser von 3,01 cm (Zeitansatz: 10 min) als auch die Entfernung mehrerer Dutzend abgestorbener Ästen mit 9,99 cm Durchmesser (Zeitansatz: 180 min) bedeuten kann.
Übertragen auf die aktuelle Rechtsprechung zur VOB/A § 7 Abs.1 zeigt sich, dass sich durchaus die Leistungsbeschreibung gem. ZTV-Baumpflege z.B. „3.2.4 Totholzentfernung: Tote Äste mit Durchmessern von 3 bis 10 cm an der Basis sind zu entfernen. Wundbehandlungsstoffe dürfen nicht aufgetragen werden.“ eignet:
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Der Inhalt einer Leistungsbeschreibung muss daher klar, vollständig und für jeden in Betracht kommenden Bieter eindeutig sein [4].
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Die Leistungsbeschreibung ist eindeutig, wenn aus der Perspektive des Bieters bei Anlegung eines professionellen Sorgfaltsmaßstabes auch ohne „intensive Auslegungsbemühungen“ ohne weiteres klar ist, welche Leistung von ihm in welcher Form gefordert wird [5].
Das heißt, der Auftraggeber als auch der Bieter haben die gleiche Vorstellung des Sollzustandes – Totholz zwischen 3 und 10 cm ist aus dem Baum zu entfernen, wobei Totholz von einer fachkundigen Person erkannt werden kann.
Jedoch ist zweifelhaft, ob eine kalkulatorische Varianz von 1.800 % (10 min vs. 180 min) eine einwandfreie Preisermittlung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A bzw. nicht doch ein ungewöhnliches Wagnis gem. § 7 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A darstellt.
Hier mag dem ein oder anderen Totholzpfleger ein Licht aufgehen, wieso er bei Ausschreibungen von Vorzeige-Kommunen keinen konkurrenzfähigen Preis anbieten kann.
Exkurs
Was also tun? Sind die normativen Vorgaben ausreichend, deren Befolgung vorausgesetzt, um Leistungen im Einklang mit § 7 Abs. 1 VOB/A auszuschreiben?
Um diese Frage beantworten zu können, muss zunächst die ZTV-Baumpflege hierarchisch verortet werden.
Die allgemeine Rechtshierarchie in Deutschland ist gemäß Abbildung 1 strukturiert.
Gesetze werden durch die Legislative gemacht. Eine Rechtsverordnung wir durch die Exekutive erlassen. Das Gesetz bestimmt, was passieren soll, die Verordnungen schreibt deren Umsetzung vor.
So auch in der Baumpflegeausschreibung. Die Rechtsverordnung „Vergabeverordnung (VgV)“ regelt die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, welche dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen unterliegen (mit einigen Ausnahmen). Aus der VGV bzw. aus den Runderlassen der zuständigen Stellen (Landesministerien etc.) folgt die Verpflichtung Bauleistungen gem. VOB/A zu vergeben und den daraus folgenden Bauverträgen die VOB/B zu Grunde zu legen. Dadurch wird auch die VOB/C gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 VOB/B auch die VOB/C Vertragsbestandteil.
Die VOB/C ist eine Sammlung von Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen (ATV), also DIN-Normen, welche automatisch Vertragsbestandteil werden wie z.B. die DIN 18329 Verkehrssicherungsarbeiten (vgl. Teil 1) oder indirekt auch die DIN 18920.
Die VOB wird durch den DVA (Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen) einem paritätisch aus Auftraggeber und Auftragnehmer besetzten Gremium erarbeitet und fortgeschrieben.
Die VOB/B selbst ist somit weder ein Gesetz noch eine Rechtsverordnung, sondern hat die Funktion der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die bei öffentlichen Bauvorhaben verbindlich vereinbart wird. Diese können z.B. für bestimmte Branchen/Auftraggeber um standardisierte zusätzliche Vertragsbedingungen (ZVB) oder z.B. projektspezifisch um besondere Vertragsbedingungen (BVB) ergänzt werden (Abbildung 2, linke Pyramide).
Selbiges gilt für den technischen Bereich. All Jenes, was nicht durch (VOB/C) geregelt ist, kann über zusätzlich Technische Vertragsbedingungen (ZTV) vereinbart werden (wie die ZTV-Baumpflege).
Hieraus wird ersichtlich, dass der nicht ZTV konforme Baumschnitt, entgegen der herrschenden Meinung der Kommentarspalten zu Baumfrevelposts in sozialen Medien, weder einen Gesetzesverstoß entspricht, noch vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wird.
Ganz im Gegenteil kann der Auftraggeber ganz bewusst durch entsprechende Formulierung in der Leistungsbeschreibung von ZTV-en und der VOB/C abweichen. Auch bei Widersprüchen hat die Leistungsbeschreibung bzw. das Leistungsverzeichnis Vorrang vor den ZTV oder den ATV (§ 1 Abs. 2 VOB/B).
Dies ist auch der Grund, weshalb die aktuelle ZTV-Baumpflege vor allem hinsichtlich ihres Aufbaus/ihrer Struktur große Änderungen im Vergleich zur Vorherigen erfahren hat. Man wollte die Richtlinie an die allgemeinen Anforderungen an eine ZTV anpassen.
VOB/A konforme Ausschreibung durch Einhaltung der ZTV-Baumpflege gewährleistet?
Die aktuelle ZTV-Baumpflege (Ausgabe 2017) baut sich in Bezug zur Ausschreibung von baumpflegerischen Leistungen in zwei Teilen auf (Beispiel Totholzentfernung).
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Dem 0er-Bereich: Hier finden sich Hinweise zu notwendigen Angaben in der Leistungsbeschreibung:
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Unter 0.1 Allgemeine Angaben zur Baustelle wie z.B. Beschränkungen hinsichtlich des Einsatzes technischer Geräte (0.1.1) oder Verkehrssicherung (0.1.2.)
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0.2.1 Allgemeines zur Baustelle: Baumart/-sorte und -größe […] Angaben zur letzten durchgeführten Pflegemaßnahme […]
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0.2.2.4 (Totholzentfernung): Notwendige Hinweise zur spezifischen Maßnahme wie z.B. „[…] Angaben zur letzten durchgeführten Pflegemaßnahme.“ (0.2.2.4.1)
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Dem 3er-Bereich: Hier wird vorgeschrieben, wie die gem. 0. beschriebene Leistung auszuführen ist: „3.2.4. Totholzentfernung: Tote Äste mit Durchmessern von 3 bis 10 cm an der Basis sind zu entfernen. Wundbehandlungsstoffe dürfen nicht aufgetragen werden.“
Im Vorwort der aktuellen ZTV-Baumpflege wird als wesentliche Errungenschaft im Vergleich zum Vorgänger die notwendige Streichung von Modalverben (sollen, können etc.) und bestimmter Adverbien (erforderlichenfalls, gegebenenfalls etc.) gepriesen, um die Unmissverständlichkeit zu gewährleisten.
Davon ausgenommen ist jedoch der Bereich 0, also die Leistungsbeschreibung. Bereits die Überschrift „0: Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung“ impliziert über das Wort „Hinweis“ eine Modalität. Die ist nicht als Vorwurf zu verstehen, sondern ist der Eigenschaft einer ZTV geschuldet.
Es ist aber zu hinterfragen, ob tatsächlich in relevanten Maße Streitfälle entstanden sind, weil die Formulierung „Totholz soll entfernt werden“ gewählt wurde und nicht „Totholz ist zu entfernen“. In der Gesamtschau ist festzuhalten, dass die grammatikalische Optimierung der Konformität hinsichtlich der allgemeinen Ansprüche an ZTVen wohl dienlich war, in der Baumpflege-Praxis wohl aber keinerlei Auswirkung hat.
Es ist somit klar, dass durch die ausschließliche vertragliche Einbindung der ZTV-Baumpflege nicht gewährleistet ist, dass der notwendige Zeitaufwand für zum Beispiel die Leistung „Totholzentfernung bis 20 m Baumhöhe“ bei der Ausschreibung a der gleiche ist wie bei Ausschreibung b, obwohl die Leistungsbeschreibung etc. völlig identisch ist. Der Unterschiede besteht lediglich im Pflegestand, also die vergangene Zeit seit der letzten Maßnahme. Leider ist diese wesentliche Tatsache so gut wie nie Teil der Leistungsbeschreibung.
Was ist also die Konsequenz?
Als Auftragnehmer muss man davon ausgehen, dass über die vertragliche Einbindung der ZTV-Baumpflege der Auftraggeber entsprechend fachkundig ist und die Baumkontrolle regelmäßig auf Basis der verwandten Regelwerke durchgeführt wird. Das heißt er muss, um überhaupt im Sinne des § 7 Abs. 1 VOB/A innerhalb eines fairen Wettbewerbs kalkulieren zu können, annehmen, dass die letzte Pflegemaßnahme maximal ein Kontrollintervall, also ein bis zwei Jahre zurückliegt. Da der Auftragnehmer oftmals — vor allem bei Rahmenverträgen, bei welchen die Maßnahmen zum Zeitpunkt des Vergabeverfahrens noch gar nicht bekannt sind — nicht innerhalb des zumutbaren Wagnisses abschätzen kann, in welcher Alterungsphase und in welchem Zustand die Bäume sind, muss er von einer Totholzmenge ausgehen, die maximal innerhalb eines Jahres entstanden ist.
Die dabei mögliche, entstandene Totholzmenge innerhalb eines Jahres ist immer noch einer großen Varianz unterworfen. Diese ist aber gerade bei der Vergabe über Rahmenverträge wohl noch zumutbar und mit der aktuellen Rechtsprechung in Einklang zu bringen und die daraus resultierenden Risiken über Zuschläge entsprechend kalkulatorisch abbildbar [6]. Denn hier verstößt die Leistungsbeschreibung nicht gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gem. §121 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Bei Abschluss eines Rahmenvertrages ist die Anforderungen an die Bestimmtheit der Leistungsbeschreibung geringer als bei einer gewöhnlichen Ausschreibung anzusetzen, was in der Ungewissheit von Einzelaufträgen und von deren Volumen liegt [7]. Die geforderten Leistungen sind dann branchentypisch. Gehen die Risiken dann deutlich aus den Vergabeunterlagen (des Rahmenvertrags) hervor, ist es Sache des Bieters, diese einzukalkulieren. Wenn das zu einer Verteuerung der Leistungen führt, muss dies die Vergabestelle vertreten [8].
Ausschreibende Stelle muss Leistungsbeschreibung hinterfragen
Erst wenn die Verlagerung des vertraglichen Risikos dazu führt, dass das Verwendungsrisiko für die Leistungen beim Bieter bleiben, ist die Grenze der Zumutbarkeit überschritten. Ein erster sensitiver Indikator ist stets, wenn eine Vielzahl von Angeboten von Fachfirmen mit nicht vergleichbarem Preisniveau eingehen. Spätestens bei einer Angebotsbreite zwischen 35.000 € und 350.000 € sollte die ausschreibende Stelle ihre Leistungsbeschreibung kritisch hinterfragen und sich die Frage stellen, ob hier jeder Bieter dieselben Voraussetzungen und somit dieselbe Vorstellung von der zu erbringenden Leistung und der darauf einwirkenden, wesentlichen Umstände hatte. Hier wäre dann eine Rüge durch Verfahrensteilnehmer durchaus denkbar.
In den ZTV als auch in der ZTV-Baumpflege 2017 steht unter „Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung“: „In der Leistungsbeschreibung gemäß § 7 VOB/A sind nach Erfordernissen des Einzelfalles insbesondere anzugeben:“. In der ZTV-Baumpflege wird dabei mehrfach von „Angaben zur letzten durchgeführten Pflegemaßnahme geschrieben“. Wenn diese mehr als ein Jahr zurückliegt, ist dies ein Erfordernis und ist anzugeben.
Sollte diese Angabe unterbleiben, ist daraus bei der Ausführung ein Nachtrag gem. § 2 Abs. 6 VOB/B ableitbar, da dies nicht mehr der vertraglichen Leistung gem. § 2 Abs. 1 VOB/B entspricht und somit nicht mehr mit den vereinbarten Preisen abgegolten wäre. Auch ein Baum mit unnatürlich viel Totholz, welches innerhalb eines Jahres angefallen ist, begründet demnach einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung.
Gilt für alle baumpflegerischen Maßnahmen
Die Ausführungen gelten neben der Totholzentfernung natürlich im Allgemeinen für alle baumpflegerischen Maßnahmen, im Speziellen für die schonenden Form- und Pflegeschnitte.
Für den Fall des Pflegerückstandes sind je nach prozentualem Anteil mehrere Möglichkeiten denkbar, die im Rahmen dieser Abhandlung nicht vollständig genannt, geschweige denn diskutiert werden können:
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Angabe eines prozentualen Anteils von Totholz in der Krone. Dies lässt sich jedoch im Zweifelsfall nur sehr schwer quantifizieren.
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Zuschlagsposition für Bäume mit Pflegerückstand
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Gerade bei geringem Prozentanteil von Bäumen mit Pflegerückstand kann der Mehraufwand über Regiestunden abgerechnet werden.
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Nachtrag pro Baum mit Pflegerückstand.
Fazit
Wie im Teil 1 ausgeführt, fördert nicht nur die baumfachliche Weiterentwicklung innerhalb der Richtlinien und der Leistungsbeschreibung das gewünschte Niveau. Hier kann man festhalten, dass nicht mehr allzu viel Optimierungspotenzial besteht.
Die Grundlage für die fachliche Arbeit an Bäumen wird nicht erst mit der praktischen Baumpflege am Baum gesetzt, sondern in der Vergabestelle. Fachbetriebe mit ausgebildeten Baumpflegern benötigen, um fachgerecht arbeiten zu können, eine fachgerechte Leistungsbeschreibung.
Um die benötigen Fachfirmen durch einen fairen Wettbewerb am Verfahren zu beteiligen — sodass sie eine Chance auf den Auftrag haben, ohne ein unzumutbares Wagnis eingehen zu müssen oder nicht auf konkurrenzfähige Preise in der Kalkulation zu kommen —muss auch die ausschreibende Stelle die geforderte Qualität in den Leistungsbeschreibungen zeigen. Selbst bei Rahmenverträgen lässt sich, auch ohne für jeden Einzelbaum eine Leistungsposition im Leistungsverzeichnis vorzusehen, eine mit vertretbarem Risiko kalkulierbare Ausschreibung erstellen.
Ändern wird sich die Situation nur, wenn sich Bieter auch gegen solche, nicht mit § 7 Abs. 1 VOB/A in Einklang bringende Vergaben wehren, indem fehlende Angaben wie Zeitpunkte der letzten Pflegemaßnahme über eine Bieterfrage versucht wird in Erfahrung zu bringen, Bedenken anzumelden und das Verfahren bei ungenügender Beantwortung durchaus auch einmal zu rügen.
Die Baumpfleger müssen sich dazu aber neben der baumfachlichen Ausbildung mehr mit dem Vergaberecht auseinandersetzen. Die Vergabestellen benötigen Sparringspartner auf Augenhöhe, damit sich am Status quo etwas ändert.
Denn die Leistungsbeschreibung, die man sät, ist der Nachtrag und/oder die Leistung, die man erntet.
Literaturverzeichnis
[1] VÜA Bund, Beschluss vom 24.05.1996 – 1 VÜ 2/96, VgR 1997, 136; Beck’scher VOB-Kommentar, A § 9 Rn. 17.
[2] Beck’scher VOB-Kommentar, A § 9 Rn. 28.
[3] Schranner, in: Ingenstau/Korbion, A § 7 Rn. 17.
[4] OLG Düsseldorf, Beschl. vom 12.10.2011 – Verg 46/11.
[5] Vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. vom 19.12.2013 – Verg 37/12; VK Bund, Beschl. vom 08.11.2012 – VK 1–115/12; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29.09.2004 – 1 Verg 6/04.
[6] BGH, Urteil vom 10.06.2008 – X ZR 78/08.
[7] OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.10.2015 – Verg 28/14).
[8] OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.10.2011 – Verg 54/11 und Beschluss vom 07.12.2011 – Verg 96/11.