Gratwanderung zwischen Biodiversität, Fachlichkeit und Verkehrssicherungspflicht
„Hast Du einen Habitatbaum belassen zur Sicherung der Artenvielfalt?“ „Den kann ich unmöglich so stehen lassen, das fällt noch auf mein Ansehen zurück und die Kunden denken, ich halte mich nicht an die Vorschriften beim Schnitt. Außerdem sieht das doch nach nichts aus.“ - Ein inzwischen häufiger Dialog zweier Baumpfleger. Das Thema ist extrem wichtig, was folgender Beitrag begründet.
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Nicht nur BaumpflegerInnen sind derzeit gut beraten, sich der Fragestellung nach dem Erhalt von Altbäumen mit „Kronensicherungsschnitt“ oder Torso zu widmen. In Behörden hat sich die Wichtigkeit des Themas mittlerweile ebenso herumgesprochen, nicht zuletzt da der Ruf aus der Bevölkerung lauter wird und es der Verlust der Biodiversität immer öfter in die Schlagzeilen schafft. Der Rückgang der Arten ist mittlerweile auf Platz 3 auf der Liste der schwerwiegendsten Szenarien auf globaler Ebene, die uns in den nächsten Jahren beschäftigen werden.
Jedes Ökosystem umfasst ein kompliziertes Geflecht von teils Millionen von Arten, die sich gegenseitig beeinflussen. Die Systeme streben ein Gleichgewicht an und regulieren sich normalerweise selbst. Der Mensch stört diese Waage jedoch empfindlich und derartig nachhaltig, so dass Anstrengungen nötig sind, die Natur zu unterstützen.
In der grünen Branche spielen vor allem Altbäume eine entscheidende Rolle in puncto Biodiversität. Im Durchschnitt ist auf ihnen die Zahl seltener (Insekten)Arten um einiges höher. Sprich der ökologische Wert eines Baumes steigt mit zunehmendem Alter und Durchmesserzuwachs. Weisen Bäume generell Faulstellen, abblätternde Rinde, Höhlen, Mulm und Baumpilze etc. auf, hat man es mit einem natürlichen Insektenhotel zu tun, für das es in einigen Bundesländern sogar lukrative Ökopunkte gibt.Wäre da nicht der Gesetzgeber mit seiner Verkehrssicherungspflicht.
Eine Frage der Verkehrssicherheit
… und gleichzeitig eine Zukunftsfrage: Wie können diese wertvollen Lebensräume in und auf Altbäumen erhalten werden, auch wenn der Verkehrssicherheit genüge getan werden muss? Die natürliche Leistungsfähigkeit vieler unserer Baumarten leidet unter dem menschgemachten Klimawandel mit seinen Extremwetterereignissen, eingeschleppten Schädlingen, wärmeprofitierenden Baumpilzen und neuartigen Bakterien. Starke Vitalitätsrückgänge oder Befälle mit aggressiven Baumpilzen zwingen im Zuge der Baumkontrolle oftmals zum Handeln.
Nicht immer wird hier Geld in Expertise und Diagnostik gesteckt, sondern oftmals ist die Säge das Mittel der Wahl bei der Festlegung einer Maßnahme zur Herstellung der Verkehrssicherheit. Gerade in kleineren Gemeinden oder Städten ohne Baumschutzsatzungen oder Fachpersonal an den neuralgischen Stellen fallen wertvolle Altbäume oder generell Bäume mit Mikrobhabitaten. Der steigende tägliche Flächenverbrauch von 52 ha bilanziert die Gleichung zusätzlich negativ. Mit jeder Fällung geht der Verlust eines Lebensraumes einher. Um diesen Trend zu stoppen, müssen Wege gefunden werden, um vorgeschädigte Bäume verkehrssicher im Verantwortungsbereich zu erhalten.
Kommunikation ermöglichen
Dort, wo Fachpersonal vorhanden ist, wird in den letzten Jahren deshalb auf den Erhalt von Altbäumen mit deutlichen Schadsymptomen gedrängt, die mit baumzerstörenden Maßnahmen zwar optisch im Habitus verloren gehen, aber als (potenzieller) Habitatbaum erhalten bleiben. Das Belassen von Torsi (stehenden, langen Hochstümpfen) und drastisch zurückgeschnittenen Bäumen ist salonfähig geworden, wenn der Erhalt des Baumes so in den Vordergrund rückt und damit eine kostengünstigere Fällalternative geschaffen wird, für die es sogar noch Beifall aus der Bevölkerung gibt, wenn der Spagat der Kommunikation galant gelöst wird.
Dazu bietet der Markt mittlerweile ein Fülle von Baumschildern, die den interessierten Passanten an die Hand nehmen, um ihn über den Mehrwert dieses ungewohnten Bildes am Wegesrand zu informieren. Das schützt den fachlichen Pflegebetrieb vor negativer Mundpropaganda und bietet eine hilfreiche Kommunikationsbasis. Muss ein Baum aus Grund X dennoch gefällt werden, müssen wertvolle Stammsegmente nicht verloren gehen. Viele Baumpflegebetriebe gehen dazu über, diese in Nachbarbäumen anzubringen, damit sie weiter als Stadtbaumdomizil genutzt werden können.
Viele Behörden haben die Wichtigkeit von Habitatbäumen erkannt und zusätzlich sickert das Wissen um artenschutzrechtliche Überprüfungen langsam in die Büros von Bauhof und Rathaus, wo es dank vieler aufgeklärter Baumpflegebetriebe auch breit kommuniziert wird. Ohne Überprüfung eines Baumes vor einer Fällung werden bewohnte Fledermaushöhlen, Brutstätten oder andere Lebensräume leicht übersehen. Das ist kein Kavaliersdelikt. Mit der EU-Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL), der EU-Vogelschutz-Richtlinie (V-RL) bzw. dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) sind hier klare gesetzliche Vorgaben gegeben, deren Zuwiderhandlung empfindliche Folgen haben können.
Fachexpertise ist rar
Die Zahl der Entomologen nimmt laut Prof. Dr. Thomas Schmitt, Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut, immer weiter ab. Im Bereich der xylobionten (holzbewohnenden) Insekten schrumpft diese Expertenzahl auf geschätzt niedrige zweistellige Zahlen im deutschsprachigen Raum.
Der Ersteinschätzung am Baum durch „Laien“ kommt also eine hohe Bedeutung zu, die ernstgenommen werden sollte. Vorab-Überprüfungen im Zuge der Baumkontrolle und der Baumpflege beschränken sich oft, weil selten von hochqualifizierten Experten durchgeführt, auf die Einstufung eines Habitatbaums anhand spezieller äußerer Merkmale. Das Erkennen bestimmter Lebensraumnischen und seltener Strukturen ist deswegen entscheidend, damit Artenschutz, von JEDER am Baum tätigen Person durchgeführt werden kann.
Adulte Käfer wie im Bild sind häufig nur in einem sehr kleinen Zeitfenster im Jahr (wenige Wochen) zu sichten. Ihre Eier, Larven und Puppen sind jedoch teils mehrere Jahre unter der Oberfläche verborgen, und das gilt es zu bedenken. Die Ausweisung eines Habitatbaumes als Entscheidungsgrundlage nach seinem Aussehen muss also weise erfolgen, um zu einem späteren Zeitpunkt entomologische Fachexpterise hinzuzuziehen, wenn gewollt, und so einen potenziellen Brutbaum vor der Säge zu bewahren. Eine Fällung ohne vorherige Überprüfung im anthropogen beeinflussten Lebensraum würde die mehrjährige Entwicklung von Larven im oder am Baum von diversen Käferarten unwiederbringlich zerstören.
Welche Strukturen gelten als besonders wertvoll?
Jeder Zustand eines Baumes ist voller Leben. Für eine gewisse Zeitspanne gibt es sowohl in stehender als auch liegender bzw. zersetzter Baumsubstanz Leben, auf das gewisse Arten spezialisiert sind. Pilze, Flechten, Insekten, Fledermäuse, Vögel und andere Arten leben vom oder am Baum und finden hier Nahrung, Unterschlupf und Brutgelegenheit. Habitatbäume sind per Definition Mikrohabitate für spezialisierte Arten. So gesehen, müsste alles als Habitatbaum betrachtet werden, doch man beschränkt sich meist auf seltene Arten und Arten der Roten Liste in der Praxis. Den noch verbliebenen (alten) Bäumen im Siedlungsraum kommt eine große Bedeutung zu, wenn es um den Erhalt der natürlichen Vielfalt geht, doch man muss ihren Wert und ihr Vorhandensein auch erkennen und bekannt machen.
Wie ist die biologische Vielfalt vor der Haustüre zu erhalten?
Grob ist festzuhalten, dass Arten die unterschiedlichsten Ansprüche an ihr Habitat haben und dieser Umstand sich in den Köpfen festigen muss. Ob lebender, absterbender oder toter Baum - es finden sich auf ihm Arten, die dort überwintern, brüten, Schutz suchen, sich von ihm ernähren etc.,ohne dass wir sie je zu Gesicht bekommen werden. Nicht zu vergessen die räuberischen Arten, die Holzinsekten in ihrer Nahrungskette brauchen. Die Rolle von Habitatbäumen sind kleine Inseln wertgebender Strukturen, die u. a. einen Genaustausch zwischen Populationen ermöglichen.
Kopfweiden an Bachläufen und Einzelbäume auf Streuobstwiesen können bedeutende Refugien darstellen, auf denen Habitatbäume zu finden sind. Im öffentlichen Raum sind es nicht nur Parkbäume in Grünanlagen, Bäume auf Friedhöfen, Alleen oder Dorflinden, die Potenziale als Habitatbaum bergen - auch jeder Parkplatzbaum könnte eine hochwertige Einzelstruktur sein bzw. und das ist ebenfalls zu berücksichtigen, zukünftig WERDEN. Doch welche Strukturen gelten als besonders wertvoll für diese Arten?
Um es mit dem Bild von Trittsteinen greifbarer zu machen: Manchen Arten ist es nicht möglich, mehr als 500 m zurückzulegen; manchmal gibt es im Umkreis von 2 km nur drei nutzbare Bäume, die sich als Habitat eignen. Wird einer von ihnen gefällt, nimmt das ganzen Populationen die Erfolgswahrscheinlichkeit zur Aufrechterhaltung einer gesunden Basis in der Population. Doch nicht nur zur Fortpflanzung erfüllen Habitatbäume eine wichtige Funktion. Es findet sich mit ihnen ein breites Nahrungsangebot von z.B. strukturell unterschiedlichen Substratarten und sie bieten Rückzugsorte mit unterschiedlichen Erscheinungsformen und Funktionen. Stark spezialisierte Arten, die auf Baumpilzart X angewiesen sind, zur Eiablage stark geschwächte Bäume, eine bestimmte Baumart benötigen oder nur in besonderen Verstecken wohnen, haben es schwer aufgrund von unbedachten oder vorschnellen Fällungen.
Fazit
Die Faktoren, die beim Belassen eines Habitatbaumes in Wechselwirkung zueinander stehen und spezifische Lebensraumansprüche betreffen, sind mannigfaltig und würden in ihrer Verwobenheit den Artikel sprengen. Es kann somit nur eindringlich dafür sensibilisiert werden, dass wir es mit einem komplexen Thema zu tun haben, auf das unsere Aufmerksamkeit gelenkt werden sollte. Torsi, Baumstümpfe und notwendig gekappte Bäume haben einen positiven Einfluss auf die Biodiversität vor unserer Haustüre und erfüllen dennoch den Anspruch an die Verkehrssicherheit bei entsprechender betreuender Baumkontrolle und fachlicher Baumpflege in Kombination.
Habitatbäume erhalten und fördern wichtige Trittsteine im öffentlichen Raum und ermöglichen, wenn gewollt, eine Planung beim aktiven (und teils geförderten) Naturschutz.Aber vor allem sind sie eine Investition in die Zukunft, für die wir in unserem grünen Fachbereich eine Schlüsselrolle und somit eine hohe Verantwortung tragen. Sowohl für den Erhalt der Biodiversität, als auch für die Generationen die nach uns kommen.
Die Autorin Daniela Antoni ist seit über zehn Jahren den Stadtbäumen verpflichtet. Nach dem Studium der Forstwissenschaften und der Waldökologie arbeitete sie mehrere Jahre als Sachverständige und Baumkontrolleurin bei einem der großen Sachverständigenbüros Deutschlands und ist seit 2020 selbständig im eigenen Büro tätig.
Jonas Renk hat die Zeichnung und das pdf beigesteuert. Er ist ist M.Sc. (TUM) Umweltplaner und Ingenieurökologe und seit Oktober 2020 als Wissenschaftlicher Koordinator im Rahmen der staatlichen Wildlebensraumberatung für den Bereich Öffentliches Grün in Bayern an der LWG tätig. Vor seiner Tätigkeit an der LWG leitete er zuletzt 2017 bis 2020 die Fachabteilung Naturschutz und Landschaftspflege der Stadt Würzburg (Untere Naturschutzbehörde). Nach seinem vorangegangenen Bachelor-Studium der Landschaftsarchitektur war er zwischenzeitlich 2014 bis 2015 als Natura 2000-Beauftragter am Landratsamt Tübingen und 2013 in einem Planungs- und Gutachterbüro tätig.
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