Das Fachwissen reicht weder für den Kunden noch für den Baum
Daniela Antoni betreibt ein Sachverständigenbüro für Stadtbäume im hessischen Stockstadt und ist seit über zwölf Jahren FLL-zertifizierte Baumkontrolleurin. Sie teilt mit uns eine differenzierte Betrachtung zur aktuellen Ausbildungssituation bezüglich des Stadtbaums und führt uns die Dringlichkeit vor Augen, mit der für eine bessere Qualifikation gearbeitet werden muss.
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Möchte man seine kommunalen, städtischen oder privaten Bäume kontrollieren oder gar begutachten lassen, stellt sich wohl jedem Baumeigentümer eine zentrale Frage: Wer hilft mir weiter? Während die Suchmaschine via Umkreissuche vermutlichleicht Ergebnisse liefert, ist die Ermittlung fundierter Expertise für das Fachgebiet der Baumüberprüfung schon etwas schwieriger. Es gibt ja keine geregelte Ausbildung für BaumkontrolleurInnen und Sachverständige in Deutschland. Möchte man Dienstleistungen wie unabhängige Beratung zu einem nutzerfreundlichen Kataster, eine generelle Beratung zum Thema Baumkontrolle oder hochwertige Leistungsverzeichniserstellung, wird es schnell intransparent und undurchsichtig auf vielen Webseiten. Denn ob die betreffende Person, UG oder GmbH überhaupt über fundierte Kenntnisse zur Spartendienstleistung Baumkontrolle verfügt, lässt sich gar nicht so leicht nachweisen, bzw. ist für den Kunden so gut wie nie erkennbar.
Begriff Sachverständiger nicht zuverlässig
In der Sachverständigentätigkeit, wo der Kunde zwischen Freien Sachverständigen, personenzertifizierten Sachverständigen oder gar öffentlich bestellten Sachverständigen wählen kann, ist der jeweilige Titel kein zwingender Garant für Fachexpertise. Das liegt zum einen an den föderalen Bestimmungen zur Zulassung für eine öffentliche Bestellung und zum anderen daran, dass die Berufsbezeichnung Sachverständige/r nicht geschützt ist. In einigen Bundesländern reicht ein förmlicher Antrag nebst Erfahrung in der grünen Branche zur „Verleihung“ des in der Öffentlichkeit als sehr hochgeschätzten öbV, in anderen sind umfangreiche Bestimmungen und die Zahlung von hohen vierstelligen Summen nötig, um überhaupt erst einen Antrag stellen zu können.
Im Bereich der Baumkontrolle läuft es zwar etwas verbindlicher in Bezug auf die Berufsbezeichnung, doch de facto auch nicht in Bezug auf die Kompetenz am Baum. Auf vielen Visitenkarten ist die Bezeichnung des FLL-zertifizierten Baumkontrolleurs bzw. der FLL-zertifizierten Baumkontrolleurin zu lesen. Bei diesem Kurs werden Grundkenntnisse von z.B. Baumpilzen, Schadmerkmalen und Maßnahmen aufgegriffen und erläutert. Nach in der Regel vier Tagen Theorie und ein paar Stunden Praxis bescheinigt er nach bestandener schriftlicher und mündlicher Prüfung eine Zertifizierung, die dem späteren Baumeigentümer eine erste Vorauswahl für Personen zuliefert. Manchmal dient er auch dazu, Eigenpersonal zu schulen. Doch ob er als wichtige Basis oder als fundierte Ausbildung angesehen werden sollte, muss diskutiert werden.
Ein bißchen Wissen ist gefährlich
Die Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen ist eine unfassbar komplexe und vielschichtige Tätigkeit. Reichen ein paar Stunden „Ausbildung“ für den Organismus Stadtbaum aus bzw. ist die komplett freie Verwendung von Titeln, Abschlüssen, Zusatz-Zertifizierungen ohne übergeordnete Qualitätskontrolle und anderweitigen uneindeutigen Bezeichnungen in unserem Berufsfeld nicht eine etwas zu dünne Basis, um Kunden hier einen echten Mehrwert zu bieten? Und ist nicht auch zu Gunsten unserer wertvollen (alten) Stadtbäume eine Überarbeitung der Ausbildungssituation anzuraten?
Nach nur wenigen Tagen eines Kurses ist keine verbindliche schulische, betriebliche oder weiterbildende Fortsetzung des Kenntnisstandes mehr gegeben. Die (rechtliche) Verantwortung geht am Baum mit der Übergabe eines der vielen am Markt existenten Zertifikate täglich weiter, doch der Ausbildungsstand bleibt der gleiche, da keine Betreuung bei realen Abläufen am Baum existiert und hier keine Reflexion der eigenen Kompetenz erfolgt. Das kann zu gefährlichem Halbwissen führen.Von allen Menschen, die eine konkrete Aufgabe ausführen, glauben die am geringsten qualifizierten Menschen, dass sie sehr gut auf die Aufgabe vorbereitet sind.
Lehrlings-Dilemma
Zu diesem Fazit gelangten die Forscher Sanchez und Dunning 2018 unter anderem aufgrund von Daten zu einer groß angelegten Studie, die ein Spartenwissen von 25.000 US-AmerikanerInnen über Jahre hinweg untersuchte. Die Befragten, die schon länger in einem Feld tätig waren, so zeigt die Untersuchung, hielten ihr Spartenwissen richtigerweise noch für sehr lückenhaft. Junge Erwachsene zwischen 25 und 34 Jahren dagegen, die sich erstes Wissen angeeignet hatten, hielten sich bereits für Profis auf ihrem Gebiet.
Wer sich in einen Spartensektor einarbeiten will, steht daher vor einem Dilemma. Auf der einen Seite ist Lernen nötig, um Fähigkeiten zu erlangen. Andererseits führt genau dieses Lernen am Anfang dazu, dass man diese ersten Fähigkeiten überschätzt. In der Praxis ergeben sich so bei der Baumkontrolle, der Baumdiagnostik, bei Beratungsdienstleistungen und anderen Fragestellungen etliche Stolperfallen auf dem Weg zu echter Expertise, die ohne eine duale Ausbildungssituation zu keiner persönlichen Weiterentwicklung und Demut auf den Treppenstufen führen.
In wie vielen Fällen dieses Ausbildungsdefizit die Schwierigkeit aufwirft, dass relevante Schadmerkmale übersehen, aggressive Baumpilze und Habitatstrukturen nicht erkannt, Kenntnisse über Baumkataster nicht beratend vermittelt, hochkomplexe Zugversuche ohne Sachkenntnis benutzt und andere Diagnostikgeräte inflationär angewandt werden, bleibt aufgrund des fehlenden Monitorings im Dunkeln.
Die Anforderungen an den Beruf nehmen zu, daran besteht kein Zweifel. Sollte ein qualitativ hochwertiger Wissenskonsens in der Baumkontrolle und im Bereich des Gutachtenwesens nicht zwingend auch an Umfang gewinnen? Mit den aktuellen „Ausbildungs“inhalten dürfte dieser Spagat kaum zu stemmen sein. Die freie Berufsbezeichnung Baumkontrolleur und Baumsachverständiger bietet für Kunden kein Plus bei der Wahl ihres Dienstleisters. Diesem Missstand sollten wir uns zeitnah widmen.
Wie fachlich aufgestellt sind Baumpflegebetriebe?
Doch nicht nur in der Baumbeurteilung herrscht Intransparenz bei der Fachexpertise vor, leider wird es für den Kunden nicht einfacher auf der Suche nach Unternehmen, die ZTV-konform schneiden und die Maßnahmen aus der Baumkontrolle ausführen. Die hohe Auftragslage in der grünen Branche führt offenbar aktuell vielerorts dazu, dass Bäume von deutlich unterqualifizierten Personen geschnitten werden und so ein erheblicher Schaden am Baumbestand in Deutschland entsteht, der irreversibel ist. Die Gründe dafür sind vielschichtig.
Der Zuwachs an Garten- und Landschaftsbaubetrieben ist enorm. Die grüne Branche ist nicht erst durch die Anti-Corona-Maßnahmen und den Folgen des Virus auf Wachstum und Wandel eingestellt. Im Bereich der Privatkunden, wo die Auftragslage ihren höchsten Zuwachs zu verzeichnen hat und mit ca. 60 % gegenüber der öffentlichen Hand, dem Wohnungsbau und Sonstigen Auftraggebern die Spitze anführt, kommt hinzu, dass die herangetragenen Wünsche wie baumzerstörende Maßnahmen außerhalb des Fachkataloges der ZTV-Baumpflege (Kappungen), selten als baumzerstörend kommuniziert werden vor Ort. Es braucht also nicht nur mehr Fachexpertise am Baum, sondern auch wieder mehr ethische Werte und Ansporn bei der Kommunikation gegenüber den Ökosystemdienstleistungen und dem Sinn von Stadtbäumen. Sowohl von Seiten der Politik als auch von uns Experten aus der Branche.
Pathos vs. Realität
Die Baumkontrollrichtlinien der FLL sind seit 2004 das Standardwerk für Kontrollen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen und sind vor Gericht dankenswerterweise mit einer gewissen Bindungswirkung zu verstehen. Das angelehnte Zertifikat schafft aus gutem Grund eine wichtige Komponente bei der Orientierung vor einer Beauftragung, sollte jedoch klarer aufzeigen, dass damit nur Basiskenntnisse vorherrschen. Die knappe „Ausbildung“ in der Baumkontrolle und die Undurchsichtigkeit im Sachverständigenwesen per se sollen mit diesem Artikel nicht verurteilt werden, sondern nur die Luft nach oben mit einer Diskussion anreichern. Das aktuell fehlende Monitoring versteckt eine Datenlücke, die derzeit nur hinter vorgehaltener Hand existiert und diskutiert wird.
Als ehemalige Prüferin für o.g. Kurse und als langjährige Nachfolgebeauftragte für Regelkontrollen in den unterschiedlichsten Institutionen, die stets auch immer eine Überprüfung des vorherigen Kontrolleurs beinhalten, muss ich fast täglich feststellen: Wenige Kurstunden ersetzen keine mehrjährigen duale Ausbildung, wie sie in anderen Fachgebieten in Deutschland üblich ist. Das gilt im besonderen Maße im Bereich der Eingehenden Untersuchungen, wo permanent neue Studienergebnisse verstanden und aufgegriffen werden sollten zur Interpretation von Messergebnissen.Wer aus der grünen Branche gute Arbeit generiert am Baum, sollte keine Frage des Konjunktivs sein. Die derzeitige Situation ist kein qualitativer Gewinn und Dienst für den Kunden und auch oft nicht für den Stadtbaum – der eigentlich unser wichtigster Auftraggeber sein sollte. Oder?
Weitere Beiträge zur Baumpflege und die Anmeldung zum Expertenbrief Baumpflege finden Sie auf www.flaechenmanager.com/baumpflege.