Rassismus bei Baumarten?
„Der Eschenahorn kann weg, der ist eh nicht von hier.“ Solch einen Satz hat manche/r in der Baumpflege Tätige sicher schon mal gehört, vielleicht sogar selbst ausgesprochen. Vom Begriff her mutet all das schon fast rassistisch an, und tatsächlich sind solche pauschalen Aussagen, ähnlich wie rassistische Ressentiments bei Menschen, oft stark vereinfachend, irreführend oder gar schlicht falsch.
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Solche Aussagen drücken eine gewisse Geringschätzung aus gegenüber ausländischen Baumarten, die teilweise als invasive Art oder als schädlich für die europäischen Ökosysteme gelten. Hintergrund ist die Annahme, dass Pflanzen, die ursprünglich hier in Europa nicht vorkommen, auch schlecht in unser einheimisches Ökosystem eingebunden sind und deren ökologischer Wert daher gering sei.
Versuchen wir das Thema etwas genauer auseinanderzunehmen. Zunächst eine kurze Begriffsklärung: Als Neophyten bezeichnet man Pflanzen, die sich in einem Ökosystem neu etabliert haben. In Deutschland sind das so etwa 400 Arten. Dabei sind nicht alle Neophyten zwangsläufig invasive Arten, also solche, die sich selbstständig schnell und stark ausbreiten und damit andere Pflanzen verdrängen. Darunter fallen nur sehr wenige Arten. Beispiele hierfür sind das Japanische Springkraut, der Riesenbärenklau oder unser all bekannter Götterbaum.
Auch nicht alle Bäume, die hier gepflanzt wurden und von anderen Erdteilen stammen, sind automatisch Neophyten. Dazu werden sie erst, wenn sie sich in unseren einheimischen Ökosystemen etabliert haben. In den Städten ist die Situation zudem oft so, dass Pflanzungen überwiegend aus nicht einheimischen Pflanzen bestehen und es schwer fällt, die Ökosysteme zu kategorisieren. Insofern könnte man sagen, bei der Pflanzung nicht einheimischer Bäume in der Stadt spielt das invasive Potenzial eigentlich eine eher untergeordnete Rolle, solange es sich nicht um Bereiche handelt, die an naturnahe Ökosysteme, zum Beispiel am Stadtrand, angrenzen und diese von der Stadt aus infiltrieren können.
Der für die Stadt aber durchaus interessante Faktor ist die ökologische Kompatibilität. Das beschreibt in etwa, wie gut der Baum in das städtische Ökosystem passt. Wie viele Arten können sich von dem Baum ernähren, wie viele nutzen ihn als Lebensstätte und welche Aufgaben kann der Baum im Ökosystem Stadtlandschaft erfüllen?
Neu ist nicht gleich schlecht
Früher war die Sache klar, zumindest in der ökologischen „Gemeinde“. Neu gleich schlecht, weil nicht integriert. Mittlerweile aber wird auch unter Ökologen immer häufiger genau hingeschaut, und da kommt Erstaunliches zutage. Gossner und Ammer untersuchten 2006 die Diversität der Insektenfauna auf Douglasie im Vergleich zur einheimischen Fichte. Die Douglasie wies eine höhere Artenzahl einheimischer Insekten auf, immer dort wo die Umgebung der Douglasie auch divers war, sprich viele verschiedene Baumarten in der Nähe wuchsen. Auf die Stadt übertragen heißt das, dass auch nicht heimische Baumarten eine hohe Diversität an Insekten beherbergen können, besonders wenn die umgebenden Baumarten verschiedenartig sind. Die Struktur der Gehölze spielt also ebenfalls eine große Rolle bei Punkten wieder Insekten-Biodiversität.
Vergleicht man die Anzahl der Insektenarten, die von verschiedenen Bäumen abhängen, so sind auch bei einheimischen Gehölzen große Unterschiede zu verzeichnen. Beim Spitzahorn sind es lediglich 6 Wildbienenarten, die den Ahorn als Nahrungspflanze nutzen - keine Käfer, Schwebfliegen, Wanzen und auch keine Schmetterlinge. Bei der Eiche sind es dagegen 179 Großschmetterlinge, über 500 holzbesiedelnde Käferarten und weit mehr als 500 weitere pilzfressende und räuberische Arten, die von der Eiche abhängen. Wildbienen, Wanzen und andere Insekten noch gar nicht gerechnet.
Viele dieser Arten können auch auf der Amerikanischen Roteiche leben. Der Götterbaum dagegen macht überall, wo es für ihn warm genug ist, mehr Probleme, als dass er den Ökosystemen nutzen bringt. Eine schnelle Ausbreitung mit Schäden an Infrastruktur wie Rohrleitungen und Mauern und Verdrängung einheimischer Arten hat dazu geführt, dass er in vielen Ländern zu den besonders „schlimmen“ invasiven Arten gezählt wird. Bei uns ist es außerhalb der städtischen Wärmeinseln meist noch zu kalt für eine unkontrollierte Ausbreitung, so kann der Götterbaum eine Reihe wichtiger stadtökologischer Funktionen übernehmen an Stellen, an denen einheimische Bäume nicht zurechtkommen. Aber hier ist Vorsicht geboten, denn im Zuge der Klimaerwärmung kann die Pflanze in Zukunft vielleicht doch ausbrechen und droht dann Magerwiesen und Blockschutthalden in Naturschutzgebieten zu besiedeln.
Differenzierte Betrachtung nötig
Die Lehren daraus für uns als Pflegekräfte im Grünbereich sind weitreichend. Wenn wir zukünftig eine Baumart zur Pflanzung empfehlen oder entscheiden sollen, welche Bäume entnommen werden, müssen wir uns differenzierter die Frage über die Folgen stellen. Ist der Baum durch Aussaat entstanden und handelt es sich um eine trockenresistente Art, kann ein Erhalt sinnvoll sein. Ein Eschenahorn im Hinterhof einer verdichteten Innenstadtlandschaft kann sehr nützlich sein, während er am Stadtrand nahe eines Naturschutzgebietes vielleicht nicht so gut aufgehoben ist. Seine aggressiven Ausbreitungsstrategien können im Naturschutzgebiet zur Verdrängung von Pflanzen führen, während seine Robustheit im Großstadtdschungel Kosten spart und Bereiche begrünt, an denen sonst nichts wachsen würde.
Im Zuge des Klimawandels werden wir immer öfter neue Baumarten einführen wollen. Die Prüfung ihres Potenzials sollte daher nicht nur Trockenresistenz und Stadtklimaverträglichkeit umfassen, sondern auch ökologische Aspekte wie abhängige Insektenarten und invasives Potential. Beachten wir diese komplexeren Zusammenhänge, können neue Arten im urbanen Raum eine Bereicherung sein und das Leben besser machen.
Der Autor: Tobias Zielisch aus Postdam, Diplom-Biologe, Baumpfleger und Gutachter für naturschutzfachliche Praxisfälle (zielisch@baumdienst-potsdam.de).
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