Frank Bechstein: Selbstständig? Ja – aber dann richtig!
Unter der Rubrik "Kommentar" setzen sich Fachleute kritisch mit ihrer Branche oder einem Fachthema auseinander. Frank Bechstein, Chef eines Baumpflegebetriebs in Kriftel, nimmt sich in dieser Ausgabe das Berufsverständnis von Baumkletterern und -pflegern vor.
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Die Baumpflege ist eine stetig wachsende Branche. Die Verkehrssicherheit an Bäumen steht mittlerweile immer mehr im Fokus der Kommunen und der Öffentlichkeit. Das Bewusstsein für diese Thematik wächst in der Bevölkerung, denn Bäume sind unabdingbar für unser Leben.
Ein Gewerbe für Baumpflege zu eröffnen, ist relativ einfach. Eine Kletterausrüstung, Hand- und Motorsäge, und schon kann es losgehen! Eine Meisterausbildung o.ä. ist nicht von Nöten. Wer klettern kann, legt los ... Ansonsten ist eine Hubarbeitsbühne auch mal schnell ausgeliehen.
Aber ist es wirklich so einfach? Für viele „Solo-Betriebe“ anscheinend schon. Doch ist es der fachgerechten Baumpflege zuträglich? Hier habe ich oftmals meine Zweifel. Meiner Meinung nach gehört schon mehr dazu, sich Baumpfleger zu nennen und teilweise komplizierte Pflegemaßnahmen, Fällungen und, noch schlimmer, Baumkontrollen fachgerecht auszuführen.
Qualifikation ist mehr als der Zugang zum Baum
Wenn man die jeweiligen Scheine für die Seilklettertechnik oder die Bedienung einer Hubarbeitsbühne sein Eigen nennt, herzlichen Glückwunsch. Man sollte jedoch bedenken, dass dies nur eine Zugangsmöglichkeit ist, um in die Bäume zu gelangen. Dies sagt jedoch noch nichts über die fachliche Qualifikation aus. Unterschiedlichste Aufgaben und Vorbereitungen sind für einen gelungenen und fachlich qualifizierten Auftritt als Selbstständige*r zu berücksichtigen:
Bei der Ausführung in Seilklettertechnik wie auch mit der Hubarbeitsbühne ist eine zweite Person am Boden, insbesondere zur Gewährleistung einer Rettung im Notfall, erforderlich. Diese Person sollte über entsprechende Fachkenntnis und Befähigung verfügen. Dazu gehören auch die regelmäßigen Erste-Hilfe-Kurse und Rettungsübungen mit Einweisung/Schulung in die vorhandenen Maschinen und Geräte, die im Einsatz sind. Eine jährliche Überprüfung der persönlichen Schutzausrüstung mit Dokumentation reiht sich nahtlos ein. Die erforderlichen Ausbildungsnachweise für die anfallenden Arbeiten müssen natürlich vorhanden und damit einhergehend auch fällige Auffrischungskurse belegt worden sein.
Versicherungen unverzichtbar
Für verschiedenste Bereiche der täglichen Praxis sind Versicherungen unverzichtbar. Eine Anmeldung bei der Sozialkasse (SVLfG) für die Mitarbeiter, eine Haftpflichtversicherung für Schäden oder auch Maschinenbruchversicherungen für gravierende Ausfälle der oftmals teuren Geräte. Auf ausreichende Deckung sollte dringend hingewiesen werden. Dazu zählen auch die klassischen Versicherungen für krankheits- oder unfallbedingte Ausfallzeiten. Gerade für Einzelunternehmer spielt das Thema der Altersversorgung eine wichtige Rolle, und bis es soweit ist, auch die Regeneration durch angepasste Planung der Arbeitszeiten und des Urlaubs. Die körperliche Belastung ist eine nicht zu unterschätzende Tatsache. Setze ich auch Subunternehmer ein, so sind hier deren Ausbildung und Tariftreue, oder auch die Zahlung der Steuerschuld zu prüfen.
Grundlagen schaffen
Bei der Durchführung der Baumpflegearbeiten oder auch Baumkontrollen gilt es die naturschutz- und baumschutzrechtlichen Auflagen einzuhalten. Fortbildungen im gesamten Bereich der eigenen Tätigkeitsfelder sind einzukalkulieren und in der Plankostenrechnung neben allen anderen Kosten zu berücksichtigen.
Hinzu kommt die nach außen sichtbare fachliche Qualifikation in Form eines Abschlusses. Mittlerweile werden von vielen verschiedenen Schulen entsprechende Kurse angeboten. Eine Ausbildung zum Fachagrarwirt/in Baumpflege (Bachelor Professional Baumpflege) gibt hier sicherlich eine solide Basis. Die Themenbereiche der Baumdiagnose und Baumpflegemaßnahmen werden neben der Betriebs- und Unternehmensführung durchgenommen. Weiterhin das so wichtige Feld der Mitarbeiterführung und des Personalmanagements. Am 1. Januar 2021 trat die neue Verordnung über die Prüfung zum neuen anerkannten Abschluss des Bachelors in Kraft.
All die genannten Dinge kosten Geld, das sich – kaufmännisch kalkuliert - in den Preisen niederschlagen muss. Auftraggebern muss bewusst gemacht werden, dass Niedrigpreise - besonders bei der anspruchsvollen und gefährlichen Arbeit der Baumpflege – ein Indiz für wenig Seriosität, Fachlichkeit und Sicherheit sind.
Foren im Netz nicht immer hilfreich
In den sozialen Netzwerken gibt es unterschiedlichste Gruppen für den Bereich der Baumpflege und Baumkontrolle. Die dort veröffentlichten Posts bereiten einem doch oftmals Baumschmerzen, wenn man sich die Fragestellungen anschaut. Dort werden zum Beispiel Fotos von Bäumen veröffentlicht, mit einer Faulstelle im Stamm: „Ist der Baum noch verkehrssicher? Ich muss ein Gutachten dafür schreiben.“ Oder Bilder von Fällungen, ohne Schutzausrüstung, mit dem Zusatz: „Wir fällen auch in Ihrem Garten alle Bäume!“ Bilder von eingekürzten Bäumen werden hämisch verurteilt, ohne jeglichen Hintergrund der ausgeführten Maßnahme zu kennen. Es werden teils Kommentare oder sogar Handlungsempfehlungen abgegeben, die auf Grund einiger (schlechter) Fotos nicht seriös eingeschätzt werden können.
Ist ein Baum Opfer einer unfachmännischen Arbeit geworden, so ist es in der Regel unmöglich, ihn wieder zu einem gesunden, vitalen Baum zu erziehen. Wären diejenigen besser ausgebildet/geschult, so würde man sicherlich zudem ein besseres Gefühl als Auftraggeber haben. Leider können Auftraggeber die Fachlichkeit der ausgeführten Maßnahme oft auch nicht beurteilen.
Aus diesen Gründen bin ich zum einen sehr dankbar, dass es nun eine neue Ausbildungsverordnung gibt und sich Fachzeitschriften mehr und mehr dem Thema Baumpflege widmen. Besonders schön finde ich die Idee, dass der Ulmer-Verlag jetzt regelmäßig den „Expertenbrief Baumpflege“ herausgibt.
Ich möchte damit nicht von der Selbstständigkeit abraten (ich habe ja auch mal klein angefangen). Jedoch sollte man sich vorher gut überlegen, ob man all diese Anforderungen erfüllen kann….
… denn wenn selbstständig - dann richtig!
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