Ein Kampf von Riesen - Anlass zum Umdenken
Baumpflege und Naturschutz unter einen Hut zu bringen, ist nicht immer einfach. Wie er dies angeht, erklärt Tobias Zielisch aus Postdam, Diplom-Biologe, Baumpfleger und Gutachter für naturschutzfachliche Praxisfälle (zielisch@baumdienst-potsdam.de). Was zum Beispiel tun, wenn eine seltene Käferart wertvolle Bäume befällt? Mehr Natur wagen, auch in der Stadt - zu diesem Schluss kommt der Baumexperte.
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Im Jahr 2008 stand ich das erste Mal vor einem „Opfer“ eines Käfers, den ich bis dahin nur aus Büchern kannte. Ich wurde gebeten, ein Angebot für die Fällung einer abgestorbenen Eiche in Potsdam abzugeben. Der Baum war 25 m hoch, hatte über 30 m Kronendurchmesser und 180 cm Stammdurchmesser. In einer Stockfoto-Datenbank hätte er als archetypische frei stehende Eiche aufgenommen werden können, bis auf einen Umstand: Er hatte mitten im September keine Blätter mehr. Während der Fällung sah ich dann den Grund für seinen vorzeitigen Tod. In der Borke waren tiefe Löcher zu sehen, wie etwas ungeschickt und ungleichmäßig mit einem 8-mm-Bohrer ins Holz getrieben. Der „Übeltäter“ war der Eichenheldbock, auch Großer Eichenbock genannt.
Einer der größten Käfer Europas
Dieser Käfer hat einige Besonderheiten:
- Die erste ist seine Größe. Die ausgewachsenen Käfer, Imago genannt, erreichen etwas über 5 cm Körperlänge, entsprechend groß sind die Larven. Damit gehört er zu den größten Käfern Europas.
- Die zweite Besonderheit sind seine Ansprüche an den Lebensraum. Er bevorzugt Eichen warmer, lichter Standorte, die oft alt, ein bisschen kränkelnd, aber noch lebendig sind. Seine Larven ernähren sich im ersten Jahr vom Saftfluss im Kambium und schädigen dieses schwer. Im zweiten Jahr wandert die Larve ins Splintholz und im dritten bis fünften Jahr tief ins Kernholz. Daher waren die Käfer bei Förstern auch unbeliebt, denn die Fraßgänge im wertvollen Eichenkernholz machten ganze Stämme unbrauchbar.
- Die nächste Besonderheit ist seine Ortstreue. Die erwachsenen Käfer bewegen sich nur ungern von ihrem Geburtsbaum fort und wenn, dann nur kurze Strecken zu Nachbarbäumen.
Man ahnt schon, warum der Käfer so selten geworden ist. Seine natürlichen Habitate sind Eichen lichter Urwälder. Die sind fast vollständig verschwunden und die Lebensräume, die dem am nächsten kommen, sind Hutewälder und alte Parkanlagen, flächenmäßig auch nicht grade überwältigend häufig. Eine Migration von einem Standort zum nächsten findet quasi nicht statt, dafür liegen die geeigneten Habitate zu weit auseinander. Die Populationen sind daher stellenweise bis auf einen Baum zusammengeschrumpft.
Standorte selten geworden - damit auch der Käfer
Potsdam ist eine der wenigen Ausnahmen. Hier gibt es eine kleine, aber stabile Population in den historischen Parkanlagen, an alten Straßenbäumen und privaten Einzelbäumen. Die Behörden bemühen sich redlich, die europaweit besonders geschützte Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Art zu fördern. Standorte des Käfers wurden abgesperrt, statt Baumpflege zu betreiben. Bei Fällungen werden wenigstens Resttorsi erhalten. Eichen werden freigestellt durch Fällen von Robinien und Eschenahorn, und man pflanzt Eichen nach, wo Altbäume absterben oder fördert Naturverjüngung.
Dabei blutet einem eingefleischten Baumpfleger oft das Herz, wenn er mit ansehen muss, wie eine 250 Jahre alte Eiche, die zu Zeiten Friedrichs des Großen gepflanzt wurde, langsam von einer zentimeterlangen Larve von innen aufgefressen wird. Aber nicht alle befallenen Bäume sterben innerhalb von zwei Jahren ab. Die besonders dicken Exemplare halten sich oft noch viele Jahre, und so sind es vor allem die etwa 80 bis 150-jährigen Eichen, die den schnellen Abgang machen. Es ist auch nicht immer zu klären, ob Klimawandel, Wurzelschäden oder Heldbock ausschlaggebend für den Tod einer Eiche sind.
Triage zwischen Käfer und Bäumen?
Lange habe ich mir Gedanken dazu gemacht, wie hier die Prioritäten zu wählen sind. Soll man einen Käfer schützen, der eventuell sowieso ausstirbt, indem man alte Bäume opfert, die auch für viele andere seltene Arten wertvoll sind? Eine Weile habe ich die Position vertreten, dass wir lieber die Bäume schützen sollten. Doch mittlerweile bin ich für einen anderen Ansatz. Back to the wild, mehr Wildnis wagen auf allen Ebenen! Also
- im Forstbereich große Naturwaldgebiete, besonders dort, wo es alte Eichen gibt
- Urwälder neu entstehen lassen und auch im urbanen Raum lieber absperren als Totholzentnahme. Wildniszonen sind auch in der Stadt möglich. Stehendes Totholz, sprich Torsi stehen lassen, wo es nur geht
- natürlich Neupflanzungen
- Aufklärung der Menschen. 2008 konnten wir den Kunden nicht davon überzeugen, den Stamm seiner Eiche für ein paar Käfer zu erhalten. Von Eichenheldbock hatte er noch nie gehört. Das sollte ja ordentlich aussehen und so ein abgestorbener Stamm im Garten? Das ging damals gar nicht. Mittlerweile ist das Verständnis dafür weiter verbreitet, und darauf kann man aufbauen.
Verkehrssicherheit und Naturschutz bergen immer wieder Konflikte. Unsere Aufgabe als Baumpfleger und Grün-Manager ist es, daraus Chancen zu machen und die Stadt als Lebensraum für Mensch, Tier und Pflanze zu begreifen.
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