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Interview

Die Geheimnisse des perfekten Fußballrasens

Wussten Sie, dass ein Fußballspiel für den Rasen eine echte Herausforderung ist? Oder dass sich im Schatten der Stadien winzige Ökosysteme entwickeln? Pflanzenökologe Prof. Dr. Norbert Kühn von der TU Berlin liefert im Interview grünes Insiderwissen für die EM-Pausen und verrät, welcher Rasen sich am besten im eigenen Garten eignet.

von Redaktion/TU Berlin erschienen am 14.06.2024
Prof. Dr. Norbert Kühn auf den Rasenversuchsflächen der TU Berlin in Dahlem. © Kevin Fuchs
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Herr Kühn, Sie haben zu Wiesen promoviert. Woraus besteht eigentlich Rasen? Rasen ist eine Wiese, der durch das ständige Abmähen alle Obergräser und Oberkräuter genommen werden. Entfernt man dann noch die niedrig am Boden angepressten Kräuter wie Gänseblümchen, Löwenzahn oder Ehrenpreis, bleiben nur noch die niedrigen Untergräser übrig. Sie bilden den sogenannten Scherrasen. Er wurzelt flach und muss deswegen regelmäßig gedüngt und gewässert werden, damit er gut wächst. Und was ist das Spezielle am Fußballrasen? Der Fußballrasen besteht aus strapazierfähigen Gräsern, von denen nur drei in Frage kommen: das Weidelgras, die Wiesen-Rispe und der Rohr-Schwingel. Von diesen robusten Grasarten werden Sorten vorher auf ihre Strapazierfähigkeit getestet. Dies fand unter anderem bis vor kurzem auch auf den Rasenversuchsflächen der TU Berlin in Dahlem statt. Neue Sorten werden aufgepflanzt, gedüngt, bewässert, geschnitten und daraufhin überprüft, wie gut sie funktionieren, wie grün sie sind, wie dicht, wie anfällig für Krankheiten. Beim Strapazierrasen imitiert eine Maschine, genannt Scherstollenwalze, die Nutzung, drückt also künstlich die Fußballstollen in den Rasen. Ein Fußballspiel ist für den Rasen eine ziemliche Herausforderung, Löcher werden reingehackt und die Rasennarbe reist raus. Nach dem Spiel sieht ein Rasen ziemlich lädiert aus. Die strapazierfähigsten Sorten mit den besten Noten werden dann in spezielle Sportrasen-Mischungen gegeben. Wie viele Fußballspiele hält ein Rasen aus? Spätestens nach einer Saison wird der Rasen ausgetauscht. Es gibt sogar Stadien, die zwei Rasen parallel haben. So können sie den einen bespielen lassen und den anderen rausfahren und pflegen. Vor großen Spielen wie der EM wird der Rasen aber komplett neu in riesigen Bahnen mit Maschinen angeliefert und verlegt. Das muss schnell gehen, denn durch das Einrollen fängt er an, sich zu zersetzen und wird gelb. Er braucht dann circa eine Woche, um gut anzuwachsen. Wie muss dieser empfindliche Rasen gepflegt werden? Für den Fußballrasen wird er mit Spindelmähern auf wenige Zentimeter geschnitten, manchmal sogar mehrmals täglich. Das Pflegen übernimmt geschultes Personal, sogenannte Greenkeeper, mit einer spezialisierten Weiterbildung. In England kann man die Rasenpflege sogar studieren. Durch das Bespielen und Schneiden wird immer wieder Biomasse entfernt, sodass er zur ständigen Regeneration gezwungen wird. Dafür braucht er Dünger, viel Wasser und viel Licht, was bei den modernen Fußballstadien, die wie ein Dom geschlossen sind, ein Problem ist. Der Schattenwurf muss mit Kunstlicht behoben werden. Will man ihn länger am Leben lassen, wird der Rasen vertikutiert oder auch aerifiziert, das heißt mit kleinen Löchern gespickt. Das dient dazu, das mehr Luft und Sauerstoff an die Wurzeln kommt, was das Pflanzenwachstum aktiviert. Anschließend werden die kleinen Löcher mit Sand befüllt, damit sie nicht so schnell zuwachsen und die Sauerstoffversorgung länger besser funktioniert. Fußballrasen ist aber so schnell verbraucht, dass er häufig austauscht wird.
Krautige Pflanzen wie der Klee haben auf einem Sportrasen nichts zu suchen und müssen stetig entfernt werden.
Krautige Pflanzen wie der Klee haben auf einem Sportrasen nichts zu suchen und müssen stetig entfernt werden. © Kevin Fuchs
Ist Kunstrasen da eine wirkliche Alternative? Ich selbst spiele keinen Fußball, habe aber gehört, dass man relativ gut darauf spielen kann. Bei der Nachhaltigkeit steht aber ein großes Fragezeichen, weil im großen Maße Kunststoffabfälle produziert werden und durch das Spielen sehr viel Abrieb mit Mikroplastik entsteht. Ein Naturrasen ist aber auch nicht wirklich nachhaltig. Gerade in Gegenden mit Trocken- oder Wüstenklima, wo grüner Rasen auch aus Prestigegründen großflächig um den eigenen Swimmingpool wachsen soll, ist es sehr fraglich, da er hohe Wassermengen verbraucht. Und auch bei uns waren die Rasenflächen in den letzten Trockenjahren oft braun. Gibt es trockenheitsresilientere Rasenarten? Vielleicht kennen Sie das vom Mittelmeerurlaub, wo der Rasen aus einer ganz anderen Grasart besteht. Diese tropischen und subtropischen Arten wie das Hundszahngras sind derber, verdunsten nicht so viel, kriechen mehr an der Oberfläche und können besser mit trockenen Situationen zurechtkommen. Sie sind nicht so schön zu begehen wie unsere Arten, aber in der Zukunft werden sie sicherlich auch bei uns mit eingebracht. Wie könnte also der Rasen 2045 aussehen? Entweder es ist ein Kunstrasen, was ich sehr bedauerlich fände, oder es ist ein Rasen, bei dem diese tropischen und subtropischen Gräser beigemischt sind. Kommen wir auf private Gärten zu sprechen. Welche Möglichkeiten habe ich, wenn ich eine trockenheitsverträglichere Rasenvariante in meinem Garten anlegen möchte, die auch noch insektenfreundlich ist? Wer keinen Hochleistungssport im Garten betreibt und auch keinen allzu gesteigerten Wert auf homogenes Grün legt, kann Rasen auch extensiver pflegen. Dann ist er nicht so gleichmäßig, weist vielleicht auch einige Fehlstellen auf und enthält auch niedrige Kräuter wie Löwenzahn, Gänseblümchen oder Ehrenpreis. Wenn man ihn dann nicht allzu oft mäht, bekommt er in den Zwischenphasen immer wieder kleinere Blühaspekte, die auch den Bestäubern helfen. Wer keinen Ball in seinem Garten spielt und ihn seltener begeht, kann eine Wiese anlegen. Die höher wachsenden, blühenden Arten werden am besten im Herbst in den bestehenden Rasen eingearbeitet. Dafür wird der Rasen vertikutiert oder ganze Stücke werden entfernt, um dort die neuen Samen einzubringen. Im Winter können die Samen keimen und im Frühjahr wächst dort ein wiesenartiger Bestand, der nur zwei bis drei Mal im Jahr gemäht werden muss und auch viel weniger Wasser braucht. Was ich eine gute Lösung finde: In diese mit Salbei und Margeriten blühende Wiese Rasenwege einmähen, auf denen ich dann entlang gehen kann. Das gibt ein schönes Bild im Garten, ich kann ihn nutzen und gleichzeitig finden die Bestäuber Nahrung.
Neben Rasensorten werden auf den Testflächen der TU Berlin auch blühende Wiesensorten angelegt.
Neben Rasensorten werden auf den Testflächen der TU Berlin auch blühende Wiesensorten angelegt. © Kevin Fuchs
Im Schatten wächst Rasen ja nicht so richtig gut, oder? Die Gräser brauchen einfach Sonne. Bei Schatten kann sich eine richtig dichte Grasnarbe nicht entwickeln. Es gibt schattenverträgliche Grasarten, die aber nicht so strapazierfähig sind. Das ist kein Spielrasen, sondern einer, wo man ab und zu mal drauf liegt, darüber laufen kann oder picknickt. Was testen Sie aktuell auf den Rasenversuchsflächen? Zweierlei: Den Gebrauchsrasen, ein universeller Rasen, der in der Regel in Privatgärten, aber auch in öffentlichen Anlagen eingesetzt wird, wo es keine zu hohe Belastung gibt. Und den Tiefschnittrasen, der um die Golflöcher herum zu finden ist, im sogenannten Green. Dieser Golfrasen wird auf 3 bis 5 mm abgemäht und bildet eine ganz weiche Fläche. Es gibt nicht viele Gräser, die diesen tiefen Schnitt tolerieren. Hierbei handelt es sich um Auftragsforschung.
Der aktuell getestete Golfrasen ist mit 3–5 mm Länge die kürzeste Gräsersorte, die eine sehr weiche Fläche bietet.
Der aktuell getestete Golfrasen ist mit 3–5 mm Länge die kürzeste Gräsersorte, die eine sehr weiche Fläche bietet. © Kevin Fuchs
Wann wurde denn der Rasen erfunden? Die Freizeitbeschäftigung mit Bällen oder Kugeln ist es schon seit dem Mittelalter nachgewiesen. Bis zur Erfindung des Rasenmähers war die Pflege dieser Rasenflächen aber ziemlich aufwendig, denn sie mussten mit der Sense ganz fein heruntergeschnitten werden. Was kommt dem Rasen in der freien Natur am nächsten? Interessanterweise haben die Weiden eine ähnliche Artenzusammensetzung. Dort, wo die Tiere weiden, trampeln sie mit den Hufen Löcher in den Boden und sie fressen die Gräser ähnlich ab wie ein Rasenmäher. Den nötigen Dünger liefern sie frei Haus. Dadurch entsteht eine Gräserzusammensetzung, der den Ballspielflächen am nächsten kommt. Also, da wo die Rindviecher stehen, ist es am ähnlichsten zu dem, wo Fußball gespielt wird. Im Berliner Olympiastadion haben sie überprüft, was dort sonst noch so wächst. Was haben Sie gefunden? Auf den Rasenflächen werden alle Beikräuter herausgejätet, aber an den Rändern konnte ich Pflasterfugenvegetation beobachten. Spannend, dass sich trotz dieser intensiven Nutzung auf dem Rasen selber, an den Rändern zwischen den Pflasterfugen rundum im Stadion kleine Mikrostandorte bilden, wo doch mal ein Samen in eine Ritze reinfällt und dann ein Mastkraut, ein Wegerich oder ein kleines Liebesgras wächst. Das interessiert natürlich eher den Vegetationsökologen, was da um den artenarmen Rasen herum noch alles zu finden ist. Wer ins Stadion geht, kann in der Pause ja mal gucken, welche kleine Pflänzchen in den Pflasterfugen um die Sitze herum und auf den Wegen wachsen. Da werden Fußballbegeisterte auf jeden Fall den einen oder anderen Sämling finden.

Das Interview führte Barbara Halstenberg.

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