Der „freie“ Sachverständige am Baum - oft ein Risiko
Unter der Rubrik "Kommentar" setzen sich Fachleute kritisch mit ihrer Branche oder einem Fachthema auseinander. Dieses Mal hinterfragt der öbv Sachverständige Wolfgang Lehnen aus Wallerfangen im Saarland den Sachverstand vieler freier Sachverständiger, nach deren Gutachten zu viele falsche Maßnahmen getroffen oder Bäume gefällt werden.
- Veröffentlicht am

Vorab: Es gibt eine Vielzahl hoch qualifizierter und fachlich kompetenter freier Sachverständige im Bereich der Baumstatik und Baumsanierung. Dies achte und schätze ich sehr! Und wie so oft, wenn eine Einleitung mit solchen Worten beginnt, kommt ein "Aber!" So auch hier. Leider tummeln sich vermehrt „freie Sachverständige“ auf dem Markt, die von Bäumen schlicht keine Ahnung haben, über keinerlei Qualifikation verfügen und entsprechend ihre Arbeiten ausführen. Die Guten werden mir Recht geben, die Schlechten dürfen sich jetzt aufregen!
Durch fehlende Qualitätsstandards sowie geforderte Ausbildung wird es auch für den Endkunden sehr schwer zu erkennen, wen dieser sich am Ende einkauft, darf sich doch jeder „Baumsachverständiger“ nennen, der dies will. Nahezu täglich werde ich im beruflichen Alltag mit Fehlinterpretationen solcher SV konfrontiert.
Ein echter Sachverständiger versucht, den Baum zu retten
Oftmals ergeben sich hieraus Streitigkeiten, die unter Umständen vor dem Gericht landen. Durch die angenommene Haftung der getroffenen Aussage des SV vor Ort ergeben sich durch Unsicherheit, gepaart mit Unkenntnis, auch sehr oft unnötige Fällungen. Ist man sich nicht sicher, muss der Baum eben gefällt werden. Man will ja keine unangenehmen Auswirkungen seines Tuns erfahren. Dabei ist die hauptsächliche Aufgabe eines SV vor Ort, doch Bäume am Standort zu erhalten.
Eine Ausbildung zum FLL zertifizierten Baumkontrolleur ist sicher ein guter Anfang, aber eben auch nicht mehr als ein Anfang. In einem einwöchigen Kurs werden lediglich die Basics vermittelt (angekratzt), aber sicher kein SV ausgebildet. Der FLL zertifizierte Baumkontrolleur weist lediglich die mindestens erforderliche Ausbildung nach, um nach gängiger Rechtsprechung am Baum aktiv werden zu können. Wirkliche Erfahrung haben die wenigsten aufzuzeigen (was man leider oftmals erkennt).
Ich selbst bin in mehreren sozialen Medien unterwegs und mir sträuben sich nicht selten die Nackenhaare, wenn ich Kommentare oder Posts von eben diesem Kreis zu lesen bekomme. Es ist teilweise erschütternd, wer sich dort als SV ausgibt, oder traurig zu sehen, wenn über getroffene Maßnahmen geschrieben wird, die fachlich total daneben sind, wenn anhand eines Bildes schon fast Gutachten im Netz geschrieben werden (was absolut unmöglich ist) und gottähnlich zum Beispiel Pathogene benannt und Maßnahmen empfohlen werden.
Qualitätsstandard hat nichts mit Aufspielen zu tun
Sehr oft bekomme ich zu hören: „Spiel dich mit deinem öbv mal nicht so auf.“ Aber ist die öffentliche Bestellung und Vereidigung nicht der einzige nachgewiesene Qualitätsstandard, den man als SV erreichen kann? Nur der oder die öffentlich bestellte und vereidigte (öbv) Sachverständige wurde geprüft und hat einen definierten Qualitätsstandard nachzuweisen. Wenn der freie SV doch so gut ist, aus welchem Grund geht dieser dann nicht den langen und teilweise schwierigen Weg der öffentlichen Bestellung? Was in unserem Berufsfeld gänzlich fehlt, ist eine einheitliche und anerkannte Ausbildung, ein Leitfaden an Qualitätsstandards sowie eine klar definierte berufliche Bezeichnung nach abgeschlossener Ausbildung.
In Zeiten des Klimawandels stellen gerade unsere Bäume einen elementaren Beitrag, um diesem entgegenzuwirken. Sollte man dann nicht auch eine höchstmögliche Qualität ins Grün bringen? Es wird höchste Zeit, gerade im Bereich der Bäume einen einheitlich definierten Ausbildungsberuf zu etablieren, sowie die weitere Ausbildung von SV klar zu strukturieren und zu benennen. Dies könnte zum Beispiel eine Ausbildung zum Baumkontrolleur sein und der SV wäre dann die Meisterprüfung. Die Ausbildung zum Baumkontrolleur könnte zum Beispiel im Zuge eines Zusatzmoduls in der laufenden Ausbildung zum Landschaftsgärtner umgesetzt werden. Wer sich in diese Richtung weiterführend qualifizieren will, könnte Zeit investieren und eine entsprechende Ausbildung erhalten. Dies ist nur eine Idee, sicher gibt es weitere Möglichkeiten, die es zu diskutieren gilt, und genau da will ich hin!
Verantwortung, Erfahrung, Fachwissen
Durch die übernommene Haftung im Zuge einer Baumkontrolle trägt der am Baum Aktive eine enorme Verantwortung. Hier muss aus meiner Sicht Erfahrung gepaart mit Sachverstand etabliert werden, um unnötige Maßnahmen durch Unsicherheit künftig zu vermeiden sowie den Handlungsdruck des Kontrolleurs auf das fachliche Minimum zu reduzieren.
Man sollte ebenfalls damit beginnen, die geltende FLL-Richtlinie zur Baumkontrolle zu hinterfragen, da diese in der Praxis nicht mehr umsetzbar ist. Die jetzige Fassung bringt viele Kontrolleure und auch SV in haftungsrechtliche Bedrängnis, aber dies ist ein anderes Thema. Verantwortung will eben gelernt sein!
Diese Zeilen sollen zum Nachdenken anregen, zum Hinterfragen eingeschliffener Prozesse, zum Ändern jetziger Strukturen, was aus meiner Sicht lange überfällig ist. Ich danke jedem, der sich dem Erhalt von Grün gewidmet hat, aber bitte in Zukunft mit Herz UND (Sach) Verstand!
Wolfgang Lehnen,
von der Landwirtschaftskammer für das Saarland öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Baumstatik, Baumsanierung und Schadpilze am Baum; Fachreferent für nachhaltige Natur- und Umweltbildung; FLL zertifizierter Baumkontrolleur