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Interview mit Dr. Philipp Unterweger

Kompetenzen aufbauen, berufliche Begeisterung und Wertschätzung wecken

Im Verlag Eugen Ulmer ist das Fachbuch „Multifunktionale und nachhaltige Grünflächen“ erschienen. Autor Dr. Philipp Unterweger, erfahrener Berater von Kommunen und Unternehmen, verrät, warum dieses Buch nötig war und wie man es in die Praxis umsetzen kann.

von Die Fragen stellte Claudia von Freyberg. erschienen am 02.10.2025
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Dr. Philipp Unterweger hat in seinem Buch viele Experten aus der Praxis zu Wort kommen lassen.
Dr. Philipp Unterweger hat in seinem Buch viele Experten aus der Praxis zu Wort kommen lassen. © privat
Warum war es an der Zeit, ein solches Buch zu machen? Mein Hirn war voll und es hatte sich zu viel Wissen angestaut. Das musste jetzt mal aufs Papier und unter die Leute, damit da oben wieder Platz ist (lacht). Uns hat es tatsächlich gewundert, dass nach all den Jahren dieses Buch noch nicht geschrieben wurde. Die letzten guten Wiesenbücher stammten aus den 1980ern. Da konnte es nicht schaden, dieses Thema mal wieder zu bearbeiten. Es war ein hoher Aufwand, weil viele Fachleute zum Inhalt beigetragen haben. Warum diese Komplexität? Ich erinnere mich an eine Fachtagung vor vielen Jahren, als ich das erste Mal meine Idee „Sinneswandel statt Samenhandel“ in einem Vortrag vorgestellt habe. Nach dem Vortrag wurde die Frage- und Diskussionsrunde so impulsiv geführt, dass man mich danach bis aufs Klo verfolgte, da jeder eine andere Idealvorstellung der Wiesenpflege und von Grünflächenbiodiversität hat. Da wurde mir erstmals bewusst, dass naturnahes Grün sehr emotional sein kann und für viele Menschen Teil ihres Lebenswerks ist. Dieser Verantwortung wollte ich gerecht werden, in dem ich die Vielfalt des Engagements und einen breiten Querschnitt der fachlichen Praxis abbilde. Meine Gastautoren berichten begeistert aus ihren Projekten. Leider konnte ich nicht alle mir bekannten Engagierten aufnehmen, das hätte das Buch gesprengt, dennoch glaube ich, dass das Buch so einen guten Überblick gibt, in welche Richtung es gehen kann. Das Thema ist so spannend und bunt, dass es vermessen wäre, wenn man es als Einzelautor abzubilden versucht. Inwiefern nützt das Buch sowohl Anfängern als auch Fortgeschrittenen in Sachen naturnaher Gestaltung und Pflege von Grünflächen? Ich habe das Buch bewusst als „hängemattentauglich“ konzipiert. Ein praxistaugliches Lesebuch. Ich fange quasi bei Adam und Eva an und erzähle die Geschichte des Offenlands und leite daraus die konkreten Schritte für die Praxis ab. Man bekommt so einen Einblick in die Zusammenhänge, denn die sind aus meiner Erfahrung heraus vielen nicht klar. Es geht nicht darum, dass irgendwer sagt: „Bienchen und Blümchen sind toll, ihr braucht jetzt Blühstreifen.“ Es geht darum, dass man grundlegend versteht, dass das artenreiche Offenland unserer Heimat Mitteleuropa so wertvoll ist, wie das Great Barrier Reef in Australien. Daher fange ich bei null an und entwickle entlang der landwirtschaftlichen Kulturlandschaftspraxis das moderne nachhaltige Grünflächenmanagement. Da kann sich jeder reinfuchsen oder eben sein Wissen erweitern. Liefert das Buch neben Fachwissen auch Argumente gegenüber Entscheidungsträgern sowie Empfehlungen zur Kommunikation mit Bürgern? Dass wir Insekten brauchen, damit wir Äpfel essen können, das dürfte mittlerweile ein Argument sein, das jeder kennt. Multifunktional und nachhaltig bedeutet aber mehr. Welche Funktionen muss urbanes Grün nachhaltig erfüllen – ökologisch, sozial und wirtschaftlich? Ich denke, dass wir fast alle Argumente über die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen herleiten können. Das versuche ich zu erklären. Außerdem zeige ich Informationstafeln aus verschiedenen Ländern Europas, nehme Bezug auf Akzeptabilitätsstudien zur Stadtnatur und ermutige die Menschen, voll auf die schweigende Mehrheit zu vertrauen. Denn man bekommt ja meistens nur wenige kritische Mails in Bezug auf die Gesamtzahl der Bewohnerinnen und Bewohner einer Kommune. Wie sehen Sie die Dynamik in den Kommunen fast zehn Jahre nach Erscheinen der berühmten Insektenstudie aus Krefeld, die uns attestierte, dass etwa 80 % der Insektenbiomasse verschwunden ist? Die Dynamik ist nach wie vor hoch. Aber es hat sich die Motivation etwas verschoben. Nach den Jahren, in denen der Verlust der biologischen Vielfalt ganz klar im Mittelpunkt stand, ist heute die Anpassung an die Folgen des Klimawandels in den Mittelpunkt gerückt. Der Aktionsplan natürlicher Klimaschutz ist eine ganz tolle Geschichte. Naturbasierte Lösungen für das Stadtklima, Schwammstadtelemente mit naturnaher Vegetationstechnik und andere Elemente zur Vermeidung von Hitzestress sind im Trend. Dabei darf man natürlich die heimische biologische Vielfalt nicht vergessen, aber das tun wir auch nicht, denn wir brauchen sie, um diese Herausforderungen zu lösen. Was sind denn die nächsten Schritte, die Kommunen tun müssen? Kommunen und Grünflächenämter müssen endlich agiler werden. Sie müssen bereit sein, Strukturen zu verändern, auch über die Ämtergrenzen hinaus. Es braucht lokale Umstrukturierungen. Wir tauschen zwei Rasenmäherfahrer und zwei Parkranger gegen vier hauptamtliche Stadthirten. Die können das Gleiche, nur besser. Grünflächen pflegen, Bäume kontrollieren, Zustände bewerten, Vegetation steuern und mit den Menschen reden. Unterm Strich kommen wir nur durch Transformation weiter: Regionale Stoffkreisläufe, Stauden- und Samenproduktion, Kompetenzen aufbauen und erhalten, berufliche Begeisterung und Wertschätzung wecken. Ganz konkret: Solange Naturschutz, Grünflächenverwaltung, Tiefbau und Straßenbau nicht gezwungen werden, endlich zu kooperieren, haben wir vielerorts noch immer Entwicklungsstau.
Wir müssen den Beruf der Gärtnerinnen und Gärtner wieder in den Fokus rücken. Das sind die Menschen, die aktiv handeln können. Dr. Philipp Unterweger
Wie schaffe ich es als Mitarbeiter in der Kommune, die Ämtergrenze zu überschreiten, ohne „übergriffig“ zu sein – wie könnte der erste Schritt aussehen? Vielleicht muss man sich in vielen Kommunen nochmals ganz klar über die Rolle des Nachhaltigkeitsbeauftragten werden. Die haben ja oft keine wirklich greifbare Funktion. Aber genau diese Menschen müssen die Moderatoren zwischen den Ämtern sein. Wenn diese Funktion nicht genutzt wird, dann sind diese Stellen falsch gewichtet. Das Buch heißt „Multifunktionale und nachhaltige Grünflächen“. Das Buch heißt ja nicht „Wie werde ich faul und lasse das Gras wachsen“. Grünflächen müssen vier Grundfunktionen erfüllen: Biodiversitätserhalt, Klimaschutz, Ernährung und gesellschaftliches Miteinander. Nachhaltig bedeutet: ökologisch, ökonomisch und sozial. Das sind vier Grundfunktionen, die jeweils drei Bedingungen erfüllen müssen. Das geht nicht nur in einem Amt. Das geht nur über die Ämtergrenzen hinweg mit den Gärtnerinnen und Gärtnern als Machern. Es geht ganz klar darum, dass wir den Beruf der Gärtnerinnen und Gärtnern wieder in den Fokus rücken. Das sind die Menschen, die aktiv handeln können. Sie entscheiden über Wohlergehen, Schatten, Schmetterlinge und frische Luft – sowohl auf dem Sportplatz als auch im Park, im Straßenbegleitgrün und auch im privaten Umfeld. Gärtner sind die Macher einer enkeltauglichen Stadt - wir müssen sie stolz machen und ermächtigen, dass sie Stadtlandschaften schaffen, die uns glücklich machen. Wenn ich Dienstleister für eine Kommune bin und sehe, dass bestimmte beauftragte Maßnahmen unsinnig sind (wie Keulenschnitt bei Gehölzen), andere wiederum nötig wären, aber nicht beauftragt sind: Wie kann ich die Tür für ein Umdenken aufstoßen? Die, die beauftragt sind, sind entweder die Günstigsten, oder es gibt ein langjähriges Vertrauensverhältnis. In letzterem Fall ist Qualitätsmanagement sicherlich leichter. „Hauptsache Abrechnen“ ist vielerorts das Motto. Grundsätzlich glaube ich, dass wir weg von der Vergabe müssen. Wir brauchen kommunale Kompetenzzentren, die wieder stolz auf ihre Arbeit sind. In jedem Park ein Gärtnerhäuschen mit gelebter Verantwortung.
„Wir brauchen kommunale Kompetenzzentren, die wieder stolz auf ihre Arbeit sind.“ Dr. Philipp Unterweger
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