Ideale von vorgestern
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Selten im Jahr wird einem die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit so hart vor Augen geführt. Beispiel Bayern: Seit dem Volksbegehren Artenvielfalt gibt die Staatsregierung vor, alles zu tun, um „die Bienen zu retten“. Tatsächlich wurden allerlei Maßnahmen getroffen, um dem Ziel des Volksbegehrens gerecht zu werden. Damit hat der Freistaat eine gewisse Vorreiterrolle. Zumindest auf dem Papier. Denn in der Praxis sieht alles etwas anders aus. Sobald der erste Bürger anruft, um den Samenstand eines Löwenzahns zu beklagen, wird er sofort mit einer schnellen Eingreiftruppe beruhigt. Als gäbe es keine Morgen, sorgen Bauhofmitarbeiter und Dienstleister im Auftrag der Gemeinde dafür, dass bis zum Ende des Monats jeder Quadratzentimeter mit Gräsern oder Kräutern bewachsener Fläche gemulcht worden ist.
Im Laufe des Mai ist ein großer Teil der Gemeinde einmal von links auf rechts gedreht – von den Landwirten, der Gemeindeverwaltung, der Kreisverwaltung, dem Wasserunterhaltungsverband, der Autobahnmeisterei – und nicht zuletzt den Gartenbesitzern, die ebenfalls ihr Lebenselixier darin gefunden zu haben scheinen, das anvertraute Stück Grund erst einzusäen, um es dann von Robotern mähen zu lassen; am liebsten noch das öffentliche Grün vor ihrem Gartenzaun gleich mit. Wer sich nun diese 12.000-Einwohner-Gemeinde als kleines Abbild der Republik vorstellt, der fragt sich nicht länger, weshalb wir ein Insektensterben zu beklagen haben. Wir tun vollkommen widersinnige Dinge, um einem Ideal zu huldigen, das schon vorgestern nicht mehr zeitgemäß war.
Die Sucht nach Sterilität ist eine gefährliche Krankheit. Dieses Treiben infrage zu stellen, stellt nicht etwa die Arbeit der Flächenmanager infrage. Ohne Pflege lässt sich kein Gemeinwesen dauerhaft am Leben erhalten. Statt aber Energie und Geld in falsche Ideale zu investieren, sollten wir anfangen, zielorientiert und qualitätsbasiert zu pflegen. Zu tun gibt es nämlich genug. Aber von dem, was wir tun, ist vieles kontraproduktiv, während vieles, was getan werden müsste, einfach liegenbleibt.
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