
„Platzverantwortliche sollten sich Macht erarbeiten“
Mitte Oktober 2024 veranstaltete Cuxin DCM, Hersteller von Produkten für die Pflanzenernährung, im Europa-Park Stadion in Freiburg eine Tagung für Platzwarte und Greenkeeper zum Thema Sportrasen. Spannende Vorträge, Demonstrationen und eine Stadionführung begeisterten die rund 140 Gäste.
von Claudia von Freyberg erschienen am 04.12.2024Allein die Location war schon eine Attraktion – die Gelegenheit, ein neues Stadion im Inneren kennenzulernen, kommt selten. Die knapp 35.000 Zuschauerplätze sind heiß begehrt, ohne SC-Mitgliedschaft wird es schwierig, ein Ticket zu bekommen. Die Gäste der Tagung bekamen kein Spiel, aber den Zutritt zu faszinierenden Blicken in die Arena und hinter die Kulissen. Dass der SC Freiburg in seiner Philosophie besonders ist, zeigt sich auch hier, zum Beispiel in dem speziell ausgestatteten Zuschauerblock für Menschen mit Behinderung, mit den Hilfen für Seh- und Hörgeschädigte sowie mit dem Stellplatz mit 3.000 Bügeln für Fahrräder vor dem Stadion – rund 6.000 Fans kommen regelmäßig mit dem Rad zum Spiel.
Der Tagungsort war sicher ein Magnet, vor allem aber das Themenangebot. Manche Teilnehmer reisten sogar aus dem Norden Deutschlands in den „fernen“ Süden nach Freiburg. Begrüßt wurden sie von der charmanten Moderatorin und Stadionsprecherin Julica Goldschmidt, die professionell durchs Programm führte.

Nach dem Grußwort von Roland Kammerer, Vertriebsleiter Fachhandel & Profi bei Cuxin DCM, stieg Produktmanager Andreas Heumann mit einem Vortrag über die Zukunft der Sportplatzdüngung ein. Die Frage „Kann man mineralischen Dünger durch organischen Dünger ersetzen?“ beschäftigt viele. Neue Regularien und Nachhaltigkeitskriterien, Spielfeldheizung, Beleuchtung, Belüftung und Bewässerung – all diese Faktoren beeinflussen zusätzlich die Art der Düngung. Bei DCM setzt man auf mineralische und organische Anteile (Sofort- und Langzeitwirkung). „Die Berater sehen viele Plätze. Nach ihrer Erfahrung sind Bodenanalysen wichtig, bevor man Dünger kauft“, sagte Heumann. „Mikroorganismen werden immer mehr kommen, die Forschung schreitet voran.“
Messen und Markieren geht einfacher
Björn Harder von arcus-Sport, Hersteller von Markierfarben und -wagen, und Marion Hutter, Chef von Swozi, Hersteller von Geräten zur Linienmarkierung, traten gemeinsam auf. Die Herausforderung: „Die Markierung darf nicht wegregnen, muss umweltverträglich und abbaubar, aber während des Sports entfernungssicher sein“, erklärte Harder. Das variiere zwischen den Belagsarten, neue Sportarten ändern ebenfalls die Anforderungen, auch bezüglich der Düsentypen bei der Ausbringung.
„Etwa seit zehn Jahren ist das digitale Markieren über GPS oder Laser auf dem Markt, aber es wird immer noch viel von Hand gemessen“, sagte Mario Hutter, der als Vermessungsingenieur die Technik entwickelte und die Firma Swozi gründete. Sie bietet inzwischen auch halb- und vollautomatische Markierungsgeräte an, die Platzwarten, die regelmäßig mehrere Plätze linieren müssen, enorm Zeit und Personal spart. Das wurde auch bei der späteren Vorführung deutlich. „Wir sind an der 5. Gerätegeneration dran und können auch maßgeschneiderte Lösungen liefern“, sagte Hutter.
Engerlinge als Endgegner
Bastian Haupt, studierter Botaniker und Technischer Marketing Manager Micro-Organisms bei der Unternehmensgruppe Kwizda (Pharmazie und Pflanzenschutz), bot Aussichten auf eine wirksame biologische Bekämpfung von Engerlingen im Rasen. Sie sind die Larven von Blatthornkäfern, zu denen Mai- und Junikäfer, Gartenlaubkäfer und auch die neu hier auftretenden Japankäfer gehören. Sie schädigen den Rasen nicht nur durch den Fraß der Wurzeln, sondern auch, weil sie Nahrung für Sekundärschädlinge wie Rabenvögel, Dachse oder Wildschweine sind. „Engerlinge sind die Endgegner des Stadionrasens“, unterstrich Haupt.
„Die Käfer sind als Larve einfacher zu bekämpfen als die adulten Tiere“, erläuterte Haupt. Ein im Boden isolierter Pilz namens Beauveria bastiana (Bov 1) befällt und tötet die Engerlinge. Er wird bereits als biologisches Präparat, bei dem die Sporen ausgebracht werden, im Ökolandbau und im Zierpflanzenbau gegen Schadinsekten genutzt. Kwizda hat ein Mittel für den Einsatz im Rasen entwickelt, das noch im Test ist und auf die Zulassung wartet. Spätestens 2030 ist mit der Markteinführung zu rechnen – eine übliche Spanne bei der Entwicklung von Arznei- und Pflanzenschutzmitteln. Haupt bietet Greenkeepern und Platzwarten Testmöglichkeiten an. „Im Versuch liegt der Wirkungsgrad bei 50 bis 80 %.“
Grundlagen eindringlich vorgetragen
Hartmut Schneider, selbstständiger Berater und Sachverständiger aus Tübingen, hat viel Praxiserfahrung und brachte den Anwesenden die Grundlagen der Rasenbewirtschaftung nahe oder frischte sie auf. Rasen sei – anders als in Profistadien üblich – kein Verbrauchsgut. Er sei fachgerecht zu erhalten. Schneider redete den Kollegen ins Gewissen: „Wenn Pfützen auf dem Spielfeld stehen, dann sollten Sie Rückgrat beweisen und sich Macht erarbeiten und sagen: ,Da wird heute nicht gespielt!‘ Ansonsten macht man die Arbeit von Monaten zunichte, die Kosten der Wiederherstellung sind sehr hoch“, mahnte Schneider. Auch zu trockene Flächen sollten nicht bespielt werden.
„Wer von Ihnen hat mal eine komplette Bodenanalyse durchgeführt?“, fragte Schneider in die Runde. Nur zwei Hände gingen hoch. Die Analyse sei entscheidend, um zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Nährstoffe zu geben. Bei Bodenstimulanzien gebe es eine große Auswahl, sie seien aber kritisch zu betrachten, sie sollten auf Rasen getestet sein. „Machen Sie eigene Versuche, machen Sie auch mal Fehler“, ermunterte Schneider die Anwesenden. „Achten Sie aber darauf, dass Sie Vergleichsflächen haben.“
Ein sehr wichtiges Kriterium ist die Rasenschnitthöhe, machte Schneider klar. „Je länger eine Pflanze wachsen darf, desto länger sind die Wurzeln. Ab unter 30 mm Schnitthöhe leidet die Pflanze.“ Er empfahl, spielfreie Zeiten zu nutzen, um das Gras wachsen zu lassen.
Bei der Bewässerung sei die Verteilgenauigkeit mit Bodensensoren zu messen. Ein ausgeprägtes Wurzelwachstum erreiche man mit höheren Wassergaben – statt 5 besser 15 l/m2. Schneider gab zu bedenken: „Filz speichert pro mm 1 l Wasser. Deshalb ist das wichtigste Gerät der Rasenstriegel! Das ist die Grundpflege, die jeder Sportrasen braucht.“ Filz verhindere aber auch zu gewissen Zeiten die Evaporation. Das könne im Sommer von Vorteil sein. „Wir brauchen deshalb ein Filzmanagement.“
Schneider ging neben vielen weiteren Faktoren auf den Boden und die Bauweisen ein. Mit Dränschichtbauweisen sei man auf der sicheren Seite, aber hier werde kaum Wasser gespeichert. „ Es stellt sich die Spagat-Frage: Wie oft kommt es vor, dass es 60 l in einer Stunde regnet?“ Wasser zu speichern und Regenwasser zu nutzen, sei heute notwendig.
Basis für alles: das Rasensaatgut
Holger Lürmann von der Deutschen Saatveredelung erläuterte die Zucht von Rasengräsern, die Zuchtziele und die Anforderungen, die für die verschiedenen Verwendungszwecke gestellt werden. Hier konnte man ungefähr ermessen, welcher Aufwand betrieben wird und wie lange es bis zur Marktreife dauert – „15 Jahre vom Start bis zur neuen Sorte“. Lürmann ging auf konkrete Arten und Sorten ein. Tetraploide Sorten von Deutschem Weidelgras hätten mehrere Vorteile: besseres Auflaufen (bilden größere Samen und Keime), höhere Krankheitsresistenz und Stresstoleranz. Allerdings bilden sie eine offenere Narbe, was über Saatgutmischungen auszugleichen sei. Versuche würden auch mit Leguminosen gemacht. Nicht zuletzt bestimme die Saatguttechnologie über Homogenität, Keimfähigkeit und Schutz vor Fraß.

„Willkommen bei den Rentnern!“, begrüßte Alfred Melcher (68), ehemaliger langjähriger Greenkeeper beim SC Freiburg, gemeinsam mit Freiburgs Trainerlegende Volker Finke die Gäste. Mit beeindruckenden Videos und Anekdoten erzählten sie von der Entwicklung des Dreisam-Stadions und des Rasenpflegeteams, die viele Jahre von Geldmangel und Improvisation geprägt war. „Die Voraussetzungen waren nicht bundesligatauglich.“ Dennoch oder gerade deshalb gelangen dem Club große Siege – auch gegen die Bayern, die auf so einem Platz anscheinend weniger gut zurechtkamen.
Nach seiner Auslandserfahrung in Japan und Kamerun sagte Finke: „Für die Ausbildung guter Spieler ist kein Top-Rasen notwendig. … Der Platz ist oft Sündenbock für schlechte Leistungen.“ Meilensteine der Entwicklung beim SC waren die Eröffnung der Fußballschule 2001 („Um Spieler zu kaufen, hatten wir kein Geld.“), der Umbau des Dreisam-Stadions 2004 (nach DIN 18035) und der Bau des Europa-Park Stadions vor drei Jahren.
Draußen ging’s weiter
Diverse Vorführungen und Beratungen auf einem benachbarten Trainingsplatz schlossen sich an und vertieften den gehörten Stoff. Die am Schluss in mehreren Gruppen organisierte Stadionführung, die man auch als Tourist in Freiburg buchen kann, bot jede Menge interessanter Fakten zum Verein, zum alten und neuen Stadion und schöne Anekdoten. Die Tagungsteilnehmer fuhren mit vielen Informationen und tollen Eindrücken nach Hause.
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